Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 18.10.2008

"Ein Kurswechsel ist unabdingbar"

Linksparteichef Oskar Lafontaine über die Finanzkrise, Regierungsverantwortung und Streit um Privatisierung
 
Berlin/Dresden. Die öffentlich geübte Zurückhaltung täuscht: Die Ursachen der weltweiten Finanzkrise nutzt Oskar Lafontaine (65) in gewohnter Manier zur schonungslosen Abrechnung mit dem System. Doch der Vorsitzende der dpa polemisiert nicht nur, sondern gibt nachdenkenswerte Empfehlungen - wie zum Austrocknen internationaler Steueroasen. Mit Lafontaine sprach Hubert Kemper.
Freie Presse: Der als Populist gescholtene Lafontaine tritt in der aktuellen Krise erstaunlich staatsmännisch auf. Klären Sie uns bitte über Ihre Haltun auf.

Oskar Lafontaine: Es ist sicher die eigene Besorgnis, die mich zurückhaltend wirken lässt. Eine Rezession steht bevor, und wenn es um viele Arbeitsplätze geht, muss man sorgfältig sein.

Freie Presse: Kein Grund zum Triumph, nachdem Ihre früheren Warnungen vor entfesselten Geldmärkten eingetreten sind?

Lafontaine: Wenn man vor zehn Jahren das Richtige gesagt hat, ist man heute nicht beliebt. Ein Grund für meinen damaligen Rücktritt als Finanzminister war, dass Schröder meinen Vorschlag für eine Regulierung der Weltfinanzmärkte zusammen mit Clinton und Blair abgelehnt hat.

Freie Presse: Glauben Sie, die eingeleiteten Maßnahmen reichen aus, um die Krise zu stoppen?

Lafontaine: Ich bin skeptisch. Wenn man 20 Jahre lang an die Selbstheilungskräfte der Märkte geglaubt hat, tritt von heute auf morgen keine Veränderung ein. Was wir neben Bandbreiten für Wechselkurse und Regulierung des Finanzverkehrs benötigen ist der gemeinsame Willen zum Austrocknen der Steueroasen. Eine solche Erklärung fehlt in den Regierungsverabredungen. Die können aber nur dann funktionieren, wenn alle Schlupflöcher verschlossen werden.

Freie Presse: Die Auswirkungen der Krise begrenzen auch die Chancen für die Umsetzung der von Ihnen geforderten sozialen Wohltaten, oder?

Lafontaine: Bleiben wir zunächst einmal bei der Ursache des Debakels: Ohne Kürzen von Leistungen bei der arbeitenden Bevölkerung und bei den Rentnern wäre es nicht möglich, das Geld zu verdienen, das in den Casinos dieser Welt verzockt worden ist. Jetzt übernehmen die etablierten Parteien in atemberaubendem Tempo die Forderungen unserer Partei. Beispiel: Begrenzung der Managergehälter.

Freie Presse: Nachgefragt: Wie wollen Sie angesichts der neuen Verpflichtungen Ihre Forderungen finanzieren?

Lafontaine: Natürlich kommen zusätzliche Belastungen auf die öffentlichen Haushalte zu. Umso mehr dürfen wir Millionäre und Milliardäre nicht ungeschoren davon kommen lassen. Wir fordern eine Millionärssteuer. Hätten wir eine Vermögensbesteuerung nach dem angelsächsischen Muster, würden wir im Jahr über 5o Milliarden Euro mehr in der Staatskasse haben.

Freie Presse: ... und die weichen dann in die Steueroasen aus?

Lafontaine: Nicht, wenn wir diese austrocknen.

Freie Presse: Sie misstrauen einer konsequenten Kehrtwende?

Lafontaine: Ein Kurswechsel ist unabdingbar, sonst steuern wir wieder in die gleiche Katastrophe, wie bei der großen Depression Anfang der 3oer-Jahre. Auch damals hatten wir ein Ungleichgewicht in der Verteilung der Vermögen und Einkommen.

Freie Presse: Das versprechen Sie zu verändern. Aber ein Parteiprogramm hat die Linke noch nicht.

Lafontaine: Diese Aussage wird ja schon durch die Tatsache widerlegt, dass die politische Konkurrenz unsere Vorschläge reihenweise übernimmt. Nehmen Sie die Pendlerpauschale oder den Mindestlohn, für die es im Bundestag inzwischen eine Mehrheit gibt, die aber nicht wirksam wird, weil die SPD zwar dafür ist, aber sich aus Koalitionsräson nicht durchsetzt. Im Übrigen: Wir haben als einzige Partei ein von allen Mitgliedern befürwortetes Programm.

Freie Presse: Die Wähler laufen Ihnen als Oppositionspartei zu. Fürchten Sie die Ernüchterung für den Fall, in die Verantwortung zu treten?

Lafontaine: Wir wollen Politik verändern, uns dabei aber inhaltlich nicht verbiegen. Deswegen stellen wir vier grundsätzliche Bedingungen: Das sind gesetzlicher Mindestlohn, Abschaffung von Hartz IV, Wiederherstellung der Sicherung des Lebensstandards durch die gesetzliche Rente und Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Nur wenn sich dafür eine Mehrheit findet, können wir Regierungsverantwortung übernehmen. Und jetzt kommt eine fünfte Bedingung hinzu: die Neuordnung der Weltfinanzmärkte.

Freie Presse: Die CDU will Ihnen die Rolle der Ostkümmerer-Partei nicht mehr allein überlassen. Irritiert Sie das?

Lafontaine: Nein, weil es auch als Heuchelei ankommt. Viele Papiere der CDU, auch die zur Bildungspolitik, sind nichts wert, weil sie im Wi
derspruch zu Kürzungsabsichten im Haushalt stehen. Das gleiche gilt für Vorwürfe zu unserem Umgang mit der Vergangenheit: Die PDS hat sie aufgearbeitet. Da hat die CDU mit ihren Blockflöten bis hin zu Angela Merkel, die als FDJ-Funktionärin zur Kampfreserve der SED zählte, noch Nachholbedarf.

Freie Presse: Und Sie wollen jetzt mit einem Schauspieler als Kandidat für das höchste Staatsamt punkten. Peter Sodann nicht nur Zählkandidat, um im zweiten Wahlgang die SPD-Kandidaten Gesine Schwan zu unterstützen?

Lafontaine: Peter Sodann ist ein Kandidat, der bei den Menschen ankommt. Das ist entscheidend, nicht die Reaktionen aus anderen Parteien oder in manchen Medien. Er ist kein Zählkandidat. Wie wir in einem zweiten Wahlgang entscheiden, legen wir fest, wenn es so weit ist.

Freie Presse: Ihr Kurs gilt bei Ost-Genossen als fundamentalistisch, beispielsweise beim Verkauf der Dresdner Woba, der zur Spaltung der Dresdner Linkspartei geführt hat.

Lafontame: Die aktuelle Situation zeigt eindeutig: Privatisierung war der falsche Weg. Sie ist für die Beschäftigten, die Kunden und die Mieter überwiegend mit Nachteilen verbunden.

Freie Presse: Aber Dresden ist seitdem schuldenfrei und kann damit eine soziale Politik umsetzen?

Lafontaine: Warum hat dann die Wohnungsverkaufs-Mehrheit im Stadtrat das Sozialticket abgelehnt? Man muss die Entwicklung langfristig sehen. Mildtätigkeit gibt es in diesem Geschäft nicht. Mieterhöhungen sind immer die Folge von Wohnungsverkäufen. Inzwischen werden in Dresden Unterschriften gegen den Abriss von Wohnungen gesammelt und erste Stimmen werden laut, die für den Rückkauf der Woba plädieren. Privatisierungen sind kein Ausweg, sondern untergraben die Demokratie.

Freie Presse: Die Stimmung spricht für die Linken, die Umfragen gegen Ihre Lösungskompetenzen. Wo sehen Sie Ihre Partei im Jahr 2009?

Lafontaine: Wir haben die soziale Frage wieder auf die Tagesordnung der Politik gesetzt. 2009 geht es da rum, dass diese Frage im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeit nehmer, Rentnerinnen und Rentner, sozial Benachteiligten, Studieren den, Alleinerziehenden beantwortet wird. Je stärker die Linke, umso sozialer wird Deutschland.