Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 18.10.2008
Aufatmen im Dresdner Regierungsviertel
Bankenkrise: Freistaat erwägt, weitere Rücklagen zu bilden / Entscheidung fällt nächste Woche
Dresden. Einen Tag nach der Entscheidung in Berlin sorgte das Milliarden-Paket zur Stabilisierung der Finanzmärkte in Sachsen für Diskussionen. Trotz erheblicher Mehrbelastungen stieß die Einigung weitgehend auf Zustimmung – selbst in den Reihen der Opposition. Um das Risiko zu begrenzen, erwägt der Freistaat, weitere Rücklagen zu bilden.
Es war ein denkwürdiger Donnerstagabend im sächsischen Landtag. Da saßen die Abgeordneten aller Fraktionen im Plenum und debattierten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Eigentlich war das Thema längst erschöpfend behandelt, wie man am Zustand der Fraktionäre ablesen konnte. Doch es ging weiter, gnadenlos. Der Grund fand sich im Raum 3 nebenan. Dort tagte außerplanmäßig das Kabinett, und alle Abgeordneten im Plenarsaal mussten ausharren, weil Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) im Anschluss noch eine Erklärung abgeben wollte – zu den möglichen Folgen der Bankenkrise für Sachsen.
Die liegen nun auf dem Tisch. Von den 7,7 Milliarden Euro, die alle Länder für die Bankenkrise bereitstellen müssen, trägt der Freistaat 344 Millionen, berechnet nach Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl. Diese Summe entspricht rund einem Drittel des Geldes, über das Sachsen im Jahr frei verfügen kann. Dennoch ist dies für Tillich ein „gutes Ergebnis“. So wie EU, Bund und Länder in der Flutkatastrophe zum Freistaat gestanden hätten, sagte der Regierungschef, stehe Sachsen jetzt zu Deutschland.
Dabei trägt die Einigung auf Bund-Länder-Ebene alle Merkmale eines Kompromisses. Zum einen muss Sachsen für die einstige SachsenLB mit einer 2,75-Milliarden-Bürgschaft alleine gerade stehen, womit das Gesamtrisiko auf 3,1 Milliarden steigt. Zum anderen wird der Freistaat nicht für weitere, in Schieflage geratene Landesbanken zur Kasse gebeten. Denn für diese haftet das jeweilige Land selbst.
Wie tief Sachsen tatsächlich in die Tasche greifen muss, wird sich erst 2013 zeigen. Denn der Rettungsfonds läuft bis Ende 2009 und stellt den Banken bis Ende 2012 Kredite bereit. Erst danach wird abgerechnet. Ob in diesem oder im nächsten Haushalt Rücklagen für die 344-Millionen-Hypothek gebildet werden, werde „derzeit geprüft“, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums auf Anfrage. Eine Entscheidung solle nächste Woche fallen. Für den Notverkauf der Landesbank ist bereits eine Milliarde zurückgelegt.
Im Dresdner Regierungsviertel war man nach dem Poker sichtlich erleichtert. „Da haben wir noch mal Glück gehabt“, raunten Ressortchefs gestern. Allerdings hatte sich Finanzminister Georg Unland (parteilos) Donnerstagvormittag noch für eine „klare Trennung der Haftungsverantwortung zwischen Bund und Ländern“ ausgesprochen. Die Übernahme eines doppelten Risikos lehnte er ab. Diese Rechnung ging nicht ganz auf, dennoch zeigte sich selbst die Opposition erleichtert – weitgehend zumindest.
„Das Ergebnis ist viel besser als erwartet“, lobte FDP-Chef Holger Zastrow die Folgen für Sachsen, und Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau meinte: „Die Lösung ist für die Ausgabenseite gut.“ Allerdings sei sie nur ein Etappensieg. „Die Welt wird sich verändern. Was wir hier erleben, hat Wendecharakter.“ Dagegen goss die Linke Wasser in den Wein. Tillich sei „in zentralen Punkten gescheitert“, meinte Fraktionschef André Hahn, der Schaden für Sachsen steige.
Für CDU-Fraktionschef Steffen Flath sind die Risiken „überschaubar und planbar“. Der CDU-Finanzpolitiker Matthias Rößler sprach gar von einem „kleinen Wunder“. Die Forderungen der Koalition, die Lasten „auf das Notwendigste“ zu begrenzen, seien erfüllt.
Selbst SPD-Mann Karl Nolle gab sich überraschend moderat. Angesichts der Milliarden-Bürgschaft ist die 340-Millionen-Marke für ihn ein erträgliches Ergebnis. Die Konsequenzen seien dennoch erheblich. "Jetzt fehlt das Geld, um politisch zu gestalten.“
Dabei rüttelt Nolle an einem Tabu: „Wir werden neue Schulden aufnehmen müssen, für Investitionen, die sich später amortisieren.“ Denn die Bankenkrise sei nur der Auftakt für eine Kettenreaktion in der Wirtschaft, die auch die Unternehmen belaste und zu Personalabbau führen könne.
Neue Schulden, so hieß es auf Anfrage aus dem Finanzministerium, kommen allerdings nicht in Frage.
Von SVEN HEITKAMP und JÜRGEN KOCHINKE