Karl Nolle, MdL

Welt-Online, 01:42 Uhr, 25.10.2008

"Reibungslos im DDR-Erziehungssystem funktioniert"

Ein Brief von Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus zeigt die problematische Rolle der Ost-CDU
 
Berlin - Es war der 9. November 1989, als sich der Mann an den Schreibtisch setzte. Er bitte dringend darum, "einen zentralen Standpunkt zur Jugendweihe zu formulieren", schrieb er an den Bezirksausschuss für Jugendweihe. Die - als sozialistisches Pendant zur Konfirmation gedachte - Zeremonie solle künftig außerhalb der Schule organisiert werden und "wieder den Inhalt einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung haben". Nur so werde sie für die teilnehmenden Schüler und Eltern "wieder zu einem wahrhaften Schritt, der ihre Überzeugung dokumentiert". Am Abend desselben Tages fiel die Mauer. Der Briefschreiber aber war kein SED-Funktionär, sondern der christliche Demokrat Dieter Althaus, heute Ministerpräsident in Thüringen.

Althaus' Brief könnte auf dem Bundesparteitag der CDU Anfang Dezember in Stuttgart für Zündstoff sorgen. Denn dort soll es auch um die Verstrickungen der Ost-CDU im DDR-System gehen. Anlass ist ein 28-Seiten umfassender Antrag, der sich unter dem Titel "Geteilt. Vereint. Gemeinsam" mit den "Perspektiven für den Osten Deutschlands" beschäftigt. Dieser hatte im Vorfeld eine Kontroverse ausgelöst. Denn in dem Papier ist zwar vom Versagen der SPD während der Teilung die Rede, doch über die problematische Rolle der Ost-CDU als Blockpartei wird kein Wort verloren.

Nachdem nicht nur von der SPD, sondern auch von ostdeutschen CDU-Politikern heftige Kritik gekommen war, griff CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla ein. Er will nun in Stuttgart über einen Zusatzpassus abstimmen lassen. Darin heißt es, dass die DDR-CDU zwar von der SED "zwangsweise gleichgeschaltet" wurde, jedoch "im totalitären System mitgewirkt" habe. Diese Mitwirkung gelte es aufzuarbeiten.

Wie schwierig die angestrebte "Aufarbeitung" werden könnte, zeigt der Fall Althaus. Denn die Grenzen zwischen stiller Opposition und Kollaboration waren mitunter fließend. So weist Althaus' Biografie ihn keinesfalls als klassischen "Mitläufer" aus. Sein Vater zählte zu den Mitbegründern der Ost-CDU. Althaus, 1958 in Heiligenstadt im thüringischen Eichsfeld, einer katholischen Enklave, geboren, verzichtete als Katholik auf die Jugendweihe. Nach Volksarmee und Mathematikstudium arbeitete er ab 1983 als Lehrer an der Polytechnischen Oberschule von Geismar, damals Grenzstadt. Dort stieg er 1987 mit 29 zum Vizeschulleiter auf. In dieser Funktion war er, wie in der Regel üblich, für die Vorbereitung der Jugendweihe zuständig. Der CDU war Althaus 1985 beigetreten. Er habe damit "den Werbeversuchen der SED entgehen" wollen, sagte er später.

Im Oktober 1989 organisierte er die erste Montagsdemo in Heiligenstadt mit. Nach der Wende übernahm Althaus im Januar 1990 die Schulamtsleitung seines Heimatkreises. In dieser Funktion sorgte er dafür, dass an den Schulen die FDJ, die Pioniere und das Fach Staatsbürgerkunde verboten wurden.

Auch die Durchführung der Jugendweihe an der Schule ließ er untersagen, jene Veranstaltung also, für die er Monate zuvor in seinem Brief noch ein Plädoyer gehalten hatte. Es ist nicht die einzige Ungereimtheit. So wurde Althaus im Juni 1989 vom FDJ-Zentralrat "für hervorragende Leistungen bei der kommunistischen Erziehung" mit dem Thälmann-Orden in Gold ausgezeichnet - als einziger Lehrer des Bezirks. Althaus bestreitet nicht, für den Orden nominiert worden zu sein. Er habe ihn jedoch nicht angenommen. Gegenüber dem "Spiegel" gab er allerdings schon 1993 zu, die damit verbundene Prämie in Höhe von 500 Mark kassiert zu haben.

Im selben Jahr zitierte der "Spiegel" aus einer Rede, die Althaus am 25. August 1989 gehalten haben soll und in der er seine Kollegen zu einem "festen Klassenstandpunkt" aufforderte. Auch soll er sich, so der "Spiegel" damals, noch Mitte November 1989 in einem Artikel für die Gewerkschaftszeitung "Unterricht und Erziehung" darüber Gedanken gemacht haben, wie man es schaffe, "unsere Schüler die Werte des Sozialismus als moralisch erstrebenswert erkennen zu lassen".

Vor diesem Hintergrund wirkt der am Tag des Mauerfalls verfasste Brief wie ein Versuch, sich nach allen Seiten abzusichern. "Da befindet sich offenbar jemand in der vollkommenen Orientierungslosigkeit", urteilt der Historiker Stefan Wolle vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Ein richtiger Opportunist sei der Schreiber zwar nicht, denn die Opportunisten hätten in den Wendezeiten lieber geschwiegen, glaubt Wolle. Doch der Duktus des Briefes ("marxistisch-leninistische Weltanschauung") und auch die Ordensauszeichnung weise auf eine "gewisse Anpassungsleistung" hin: "Es zeigt, dass er im DDR-Erziehungssystem reibungslos funktioniert hat."

Gegenüber der WELT will Althaus nicht zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Er habe sich dazu "seit den 90er-Jahren mehrfach umfänglich geäußert". Sie blieben "in großem Umfang" falsch. Dass er den Brief am 9. November 1989 geschrieben hat, dementiert er nicht. Er selbst habe sich mehrfach für den "notwendigen Prozess der Aufarbeitung und Erneuerung der gesamtdeutschen Parteigeschichte" eingesetzt, sagt Althaus und verweist auf den Ost-Antrag für den Bundesparteitag, an dem die "von mir geführte Thüringer CDU" federführend mitgewirkt habe. Tatsächlich entstand das Papier unter Leitung von Dagmar Schipanksi, thüringische Landtagspräsidentin und einst Wissenschaftsministerin unter Althaus - freilich ohne den später von Pofalla angekündigten Passus zur Mitverantwortung der Ost-CDU.

Nach der Wende zog Althaus durch seine scharfe Abgrenzung von der DDR den Zorn einiger Ex-Kollegen auf sich. Als Kultusminister war er politisch dafür verantwortlich, dass einst systemnahe Lehrer aus dem Staatsdienst entlassen wurden. Der Linkspartei warf Althaus ihre "personelle Verstrickung in das Unrecht des SED-Staats" und mangelnden Willen zur Aufarbeitung vor.

Auf den Willen zur Aufarbeitung in der eigenen Partei setzen nun ostdeutsche CDU-Politiker wie Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer. Andernfalls, so fürchten sie, könnte die Ost-CDU 2009 mit einem Glaubwürdigkeitsproblem in den Bundestagswahlkampf gehen. Für Althaus steht auch die eigene Karriere auf dem Spiel: Umfragen zufolge muss seine Partei bei der Landtagswahl 2009 um die absolute Mehrheit bangen.
Von Miriam Hollstein