Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 22.11.2008

Tillichs Vergangenheit bringt CDU in Erklärungsnot

Report zur Rolle der Ost-CDU in der DDR - Der lange Nachhall der Blockflöten -
 
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat nach 1989 eine mustergültige Karriere in der sächsischen CDU gemacht. Doch ein Papier über seine Vergangenheit in der Ost-CDU legt nahe, dass die "Blockflöte" Tillich das SED-Regime unterstützte. Er ist nicht der Einzige – die Ost-CDU ist mit Ex-Kadern durchwachsen.

Berlin – Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich ist, was der Volksmund eine „Blockflöte“ nennt. Er trat 1987 der DDR-CDU bei, die sich als „Partei des Sozialismus“ verstand und der SED in Treue verbunden war. Deshalb musste sich Tillich mitunter kritische Fragen gefallen lassen, die bohrender wurden, als der CDU-Bundesvorstand jüngst das Papier „Geteilt. Vereint. Gemeinsam“ über Perspektiven für den Osten Deutschlands vorstellte. In ein paar Tagen soll es auf dem Stuttgarter Parteitag verabschiedet werden. Darin wird die Linke als Erbin der SED präsentiert und der SPD vorgehalten, einst mit der totalitären Staatspartei gemeinsame Sache gemacht zu haben. Völlig ausgeblendet ist dagegen die staatstragende Rolle der CDU in der DDR.

Das löste Debatten aus. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse nannte die Attacke „unanständig“, der für den Osten zuständige Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (beide SPD) sprach von „unehrlichem Umgang mit der Geschichte“. CDU-General Ronald Pofalla hat angekündigt, den Entwurf nachzubessern: „Auf dem
Parteitag in Stuttgart wird dies auch nochmals zur Sprache kommen.“

Seitdem muss Tillich ständig Auskunft über seine Zeit als „Unionsfreund“ – so nannte man in der DDR CDU-Mitglieder – geben. Der in einem katholischen Milieu aufgewachsene Sorbe sagt dann: „Ich war kein Oppositioneller, sondern habe es wie viele andere gemacht, mir eine Nische gesucht und mich in meinem Heimatdorf in eine kleine Gemeinschaft der Kirche zurückgezogen.“ Oder: „Mit Politik hatte ich wenig zu tun. In die Blockpartei CDU bin ich eingetreten, damit ich Ruhe vor der SED hatte.“

Das Abseits als sicherer Ort: Es wäre vermessen, einen solchen Lebensentwurf kritisieren zu wollen. Anders würde der Fall liegen, wenn das, was Tillich heute über die Motive seines Engagements in der DDR-CDU berichtet, nicht im Einklang mit der Wirklichkeit stünde. Und genau diesem Vorwurf sieht er sich jetzt ausgesetzt: Der Regierungschef war womöglich tiefer in das SED-Regime verstrickt, als er zugeben will. Das legt jedenfalls eine Publikation nahe, die in den nächsten Wochen erscheint.

Autor des „Sonate für Blockflöten und Schalmeien“ genannten Reports, der dieser Zeitung in Rohfassung vorliegt, ist ein sächsischer Landtagsabgeordneter, der schon die Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt bis zur Weißglut reizte – der Sozialdemokrat Karl Nolle. Der Dresdner Druckereibesitzer mit niedersächsischen Wurzeln hat monatelang biografische Fakten gesammelt. Sie betreffen nicht allein Tillich, sondern auch andere CDU-Größen im Freistaat.

Mit seiner Fleißarbeit will Nolle einen Beitrag zur historischen Wahrheit leisten – und einen Gegenentwurf zum Ost-Papier der Bundes-CDU liefern. Aufschlussreich in den „Erinnerungen an die nicht aufgearbeitete Geschichte der Staatspartei CDU“, wie es im Untertitel heißt, ist eine Blockflöten-Statistik. Ihr lässt sich entnehmen, wie viele Mitglieder der Ex-DDR-CDU im Sächsischen Landtag vertreten sind. Der Anteil lag in der Legislaturperiode von 1990 bis 1994 bei 76 Prozent – von Erneuerung konnte damit kaum die Rede sein. Fast 20 Jahre nach dem Mauerfall haben noch immer 41 Prozent der CDU-Parlamentarier einen solchen Hintergrund.

In anderen Ost-Ländern dürfte die Durchsetzung der CDU mit Blockflöten eher höher sein. Denn in Sachsen, dem Kernland der friedlichen Revolution, sind nach dem Herbst 1989 viele Bürgerrechtler der CDU beigetreten. Sie verhinderten oft Kandidaturen alter Kader und besetzten etliche Ministerposten.

Unter Biedenkopf-Nachfolger Milbradt wurden sie aus dem Kabinett gedrängt. Heute stammen CDU-Ressortchefs aus dem Westen oder haben ein CDU-Parteibuch aus DDR-Zeiten wie Frank Kupfer (Umwelt), Albrecht Buttolo (Inneres) und Christine Clauß (Soziales). Zudem sind erstaunlich viele Ex-SED-Genossen nach ihrem Übertritt in die CDU in Spitzenpositionen aufgerückt. Dazu zählen der Landespolizeipräsident Bernd Merbitz, der Landrat Volker Uhlig im Landkreis Mittelsachsen oder der Glauchauer Oberbürgermeister Peter Dresler. Selbst ehemalige Stasi-Zuträger wie den Leipziger Handwerkspräsidenten Joachim Dirschka duldet die CDU. Der Mühlauer Bürgermeister Frank Rüger trat zwar aus, nachdem seine Stasi-Vergangenheit bekannt wurde. Doch die Christdemokraten
unterstützten ihn bei der Wiederwahl.

Von Tillich heißt es in der Broschüre, er sei fest in „das Nomenklatursystem der SED“ eingebunden gewesen. Hier führt die von der Staatskanzlei im Internet veröffentlichte Biografie in die Irre. Dort heißt es nur, Tillich sei von 1987 bis 1989 „in der Kreisverwaltung Kamenz tätig“ gewesen. Um zu erfahren, dass er
vom Abteilungsleiter zum Staatsfunktionär aufstieg, bedarf es anderer Quellen.

Am 7. Mai 1989 trat Tillich als Kandidat der nationalen Front im Wahlkreis XII auf Platz eins für die Wahl des Kreistages an. Am 25. Mai wurde er zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Kreises Kamenz bestimmt. Damit gehörte er zur sogenannten B-Struktur der DDR, die im Krisenfall an die Stelle der normalen Machtstrukturen treten sollte. Das Gesetz verpflichtete ihn, die „auf das Wohl des Volkes gerichtete Politik der SED tagtäglich“ zu verwirklichen.

Während etliche seiner Unionsfreunde dem SED-Staat den Rücken kehrten, machte Tillich in ihm Karriere. Dafür ließ er sich laut einem Kaderentwicklungsplan offenbar ideologisch schulen – vom 2.Januar bis 10.März 1989 an der Potsdamer Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften, die einst den Ehrennamen „Walter Ulbricht“ trug. An dem „Lehrgang für bestätigte Reservekader für Wahlfunktionen“ wirkten hochkarätige SED-Funktionäre wie Vizeminister mit.

Als ein sächsischer Bürger jüngst seine Staatskanzlei um Auskunft zu der Episode bat, war die Reaktion ausweichend. Tillich sei eine Teilnahme an Akademie-Veranstaltungen „nicht mehr erinnerlich. Er kann aufgrund seiner Erinnerung diese Frage weder abschließend bejahen noch verneinen.“ Eine Anfrage dieser Zeitung will die Pressestelle bis Montag beantworten.
von Uwe Müller