Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 21.11.2008

Sachsens gebrochener Stolz

Die Chipindustrie bei Dresden war lange leuchtendes Beispiel guter Industriepolitik. Doch trotz aller Hilfen geht es nun ums Überleben
 
Dresden ist eine stolze Stadt, die es selten versäumt, sich dieses Stolzes zu rühmen. Stolz ist man auf vieles: auf Sehenswürdigkeiten wie die Gemäldegalerie, den Zwinger und die Frauenkirche. Auch die Straßenbahn gibt Anlass zum Stolz: Auf vielen Linien verkehrt ein 45 Meter langes Modell – die angeblich längste Tram der Welt. Lange Zeit war auch Wolfgang Schmid mit seiner Firma Repräsentant Dresdner Stolzes. Doch jetzt taugt der Chiphersteller Qimonda nicht mehr für diese Rolle.

Schmid, ein Mann mit dunklen Haaren und Schnauzbart, erledigt gerade unangenehme Aufgaben. 1000 Leute muss der Chef von der Lohnliste entfernen. Mit 3200 Mitarbeitern ist Qimonda noch größter privater Arbeitgeber der sächsischen Hauptstadt. Qimonda geht es aber so schlecht, dass kaum noch jemand auf das Überleben des Unternehmens wetten will.

Gern rühmen sich Dresden und Sachsen ihres wirtschaftlichen Leuchtturms, neudeutsch Cluster, der Chipindustrie. Mit 1,5 Milliarden Euro Subventionen wurde hier ein Technologiestandort hingeklotzt. 1200 Firmen siedeln hier, mit 44.000 Arbeitsplätzen. Silicon Saxony nennen sie sich, in Anlehnung an das berühmte Silicon Valley in Kalifornien. Doch ausgerechnet die stärksten Lichtquellen dieses Leuchtturms, AMD, Infineon und Qimonda, geben Anlass zur Sorge.

Die Krise der Chiphersteller verunsichert Sachsen und das stolze Dresden. Nun wird die Förderpolitik, lange Zeit Vorbild für die neuen Länder, in Frage gestellt. Die Rolle des Klassenbesten ist gefährdet und den richtigen Umgang damit haben sie in Dresden noch nicht.

Vorsichtig sind sie, misstrauisch, auf jede Äußerung bedacht. Wolfgang Schmid und Helmut Warnecke, Chef des Dresdner Infineon-Werks, haben sich in einem Konferenzraum niedergelassen. Zwei Pressesprecherinnen horchen jedem gesprochenen Wort genau hinterher. Draußen ducken sich die grauen Hallen beider Hersteller flach in die Dresdner Heide.

Schmid und Warnecke betrachten die Probleme des Standorts als gemeinsame Angelegenheit. Zum einen, weil Infineon noch immer 77,5 Prozent an Qimonda hält. Zum anderen, weil beide, Warnecke und Schmid, herausragende Repräsentanten des Lobbyvereins „Silicon Saxony“ sind. Warnecke schließt für Infineon gerade einen Jobabbau ab. 600 Leute mussten gehen. „Jetzt sind wir mit 1.650 Beschäftigen nahezu auf der Zielgeraden.“

Während er redet, das Wort „Kernkompetenzen“ fällt dabei häufig, schiebt er Seiten einer Unternehmenspräsentation über den Tisch. Darauf liest sich alles ganz schlüssig. Infineon konzentriert sich auf sogenannte Logikchips. Infineon ist ein starker Zulieferer für Autoelektronik. Infineon ist stark bei Chips für Telefone und Handys und für Sicherheitsanwendungen.

Infineon forscht an Bauteilen, die Strom sparen und das Klima schützen.„Die Weichen“, sagt Warnecke, „sind gestellt.“ Allerdings geht die Nachfrage nach Chips schon seit geraumer Zeit zurück und eine Rezession droht die Welt zu erschüttern. „Wir wissen nicht, ob wir schon die Talsohle erreicht haben.“

Einen Abend später sieht das Drehbuch für Schmid noch einmal die Rolle des stolzen Repräsentanten Dresdner Hochtechnologie vor. Er spricht in einem Ausbildungszentrum, wo die Firmen ihren Nachwuchs unterweisen. Vor ihm sitzen 60 Zuhörer, einer von ihnen ist Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU). Schmid liest Sätze vom Blatt ab, Sätze wie: „Spitzencluster brauchen Spitzenleute.“

Dabei steckt Wolfgang Schmid mit Qimonda in einer so tiefen Talsohle, dass viele fürchten, es könnte das Unternehmen dort begraben. Qimonda hat kaum noch Geld und produziert riesige Verluste. Infineon will seine Tochter nur noch loswerden. Ein Investor muss her, sonst könnte ganz schnell alles aus sein. Auch mit dem Freistaat Sachsen wird über Finanzhilfen verhandelt, angeblich 300 Millionen Euro.

Schmid redet von „Fokussierung“ und „Konzentration“. Die Fertigung von Massenprodukten, sogenannte DRAM-Speicher für Computer, gibt das Unternehmen auf. Mit 950 Mitarbeitern weniger in Dresden will man sich nun auf stromsparende Chips für Großrechner, Server, und Grafikanwendungen, etwa für Spielekonsolen, konzentrieren. Abschließend lassen beide, Warnecke und Schmid, durchblicken, dass sie mehr Unterstützung für ihre Branche von der Politik wünschen.

Die Produktion von Chips ist ein Albtraum für kalkulierende Kaufleute. Die Preise schwanken extrem – in einem Monat schon mal um 30 Prozent. Es werden viel zu viele Chips gebaut für viel zu wenig Abnehmer. Derzeit schneidet man die Chips aus Siliziumscheiben mit 300 mm Durchmesser. Doch die Technologie altert rasant. Dann müssen Milliarden in neue Anlagen investiert werden.

Wenn immer ein Hersteller irgendwo auf der Welt ein neues Werk errichtet, tut er es dort, wo Stadtkämmerer und Wirtschaftspolitiker die Schatulle weit aufklappen. Das haben sie auch in Dresden so gemacht. So wurden in den 90er-Jahren AMD und Infineon angelockt. Und das können sie in Dresden wie überall in der EU seit 2004 nicht mehr so großzügig wie früher. AMD immerhin scheint vorerst gerettet. Ein Staatsfonds aus Dubai investiert jetzt in die Werke, auch in Dresden.

„Die ganze Branche ist subventionsgesteuert“, sagt Wigand Cramer. Der Mann mit dem angriffslustigen Blick ist Gewerkschafter. Im IG Metallbezirk für Berlin, Brandenburg und Sachsen kümmert er sich um die Computer- und Halbleiterbranche. Mit seiner Einschätzung ist er nahe an der Argumentation der Manager Schmid und Warnecke. Cramer und seine Gewerkschaft wollen, dass die EU die Chipindustrie großzügiger fördert.

„Es muss etwas passieren und die Wettbewerbsverzerrung beendet werden“, sagt er. Das ist in der Tat eine existenzielle Frage für den Standort Dresden.

Diese Sorgen treiben auch den sächsischen Wirtschaftsminister Thomas Jurk an. Der SPD-Politiker preist die Vorzüge des Standorts, die gute Ausbildung der Leute, ein Erbe aus DDR-Zeiten und verweist auf die Erfolge des Standorts. „Hier ist etwas sehr Stabiles entstanden, ein gesunder Kern.“ Doch trotz der vielen Mittelständler, Zulieferer und junger neuer Branchen wie der Photovoltaik gesteht er auch ein: „Ohne die Großen geht es nicht.“

Mit Qimonda wird gerade verhandelt, noch im Dezember soll irgendwie eine Lösung her. „Eine Pleite wäre verheerend für den Arbeitsmarkt und nur schwer zu verkraften.“ Und die EU, die solle die Branche mehr fördern.

Auf Brüssel mag Kerstin Schulzendorf, eine kleine, resolute Frau mit kurzen Haaren und Brille, nicht vertrauen. Ebenso wenig auf das Management von Qimonda und Infineon. Und die Kollegen machen der Infineon-Betriebsrätin auch Sorge. Die Krise in Dresden müsste der IG Metall doch Mitglieder zutreiben.

Seit dem 21. Oktober lädt die Gewerkschaft an der Werkseinfahrt in Dresden Klotzsche jeden Montag zum Protest, entzündet Kerzen und prangert auf Plakaten den Jobabbau bei Qimonda und Infineon an. Doch von einer Massenbewegung ist nichts zu sehen.

„Beim ersten Mal waren es 30, jetzt 200 Leute“, sagt sie. Es bedrückt sie, dass sich erst so wenige zu Protesten überreden lassen. Schulzendorf, die Infineon-Betriebsrätin, organisiert den Protest bei Qimonda gleich mit. Noch hoffen die Betriebsräte in Dresden, dass die Protestbewegung noch anschwillt. Schließlich geht es für Qimonda um alles. Doch die IG Metall ist in den Betriebsräten von Qimonda und Infineon längst nicht so mächtig wie anderswo.

Den Ton geben Nachfolger der Skandalgewerkschaft AUB an, ein Erbe der Siemensvergangenheit. Beide Unternehmen, Infineon und Qimonda,sind Abkömmlinge des Industriekonzerns.

Mit der Krise in Dresden fühlt sich Karl Nolle bestätigt, und Karl Nolle ist ein Mann, der gern Recht hat. Nolle ist ein Unikat im Dresdner Landtag. SPD-Abgeordneter, Besitzer einer Druckerei, ein Mann von gewichtiger Erscheinung und ein überaus streitlustiger Zeitgenosse. Gegen die großzügige Subventionsvergabe der lange Zeit allein regierenden CDU hat er stets gewettert. Zu AMD, Infineon und Qimonda sagt er: „Im Chipwettbewerb zählen die eher zu den Losern.“ Sachsen und Dresden hätten sich in eine monostrukturierte Abhängigkeit begeben. „Jetzt haben wir den Salat“, wettert Nolle. Womit man besser Mittelständler gefördert hätte, sei durch Großbetriebe verbrannt worden.

Das sieht Martin Gillo natürlich anders. Gillo, ein hochgewachsener Mann von kultiviertem Äußeren, war Personalchef bei AMD in Dresden und von 2002 bis 2004 sächsischer Wirtschaftsminister für die CDU. Er verteidigt das Gebilde Silicon Saxony, von dem er ein wichtiger Teil ist, und plädiert für öffentliche Unterstützung. „Große Unternehmen haben eine Magnetwirkung und die darf nicht verloren gehen.“ Aber, sagt der Wirtschaftspolitiker Gillo, ein Land solle sich nicht von einer Branche abhängig machen. „Sie müssen sicherstellen, dass sie nicht nur auf einer Hochzeit tanzen“, sagt Gillo.

Sachsens Wirtschaft hat neben der Chipindustrie einen zweiten dieser Cluster. Rund um Chemnitz und in Leipzig haben die Autobauer VW, Porsche und BMW Werke. Doch auch sie taugen derzeit nicht mehr als Repräsentanten sächsischen Stolzes.
Von Hans Evert



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Silicon Saxony

Dresden war schon vor dem Mauerfall ein Zentrum der Mikroelektronik. Hier siedelte das VEB Forschungszentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) mit Tausenden Fachkräften. AMD und Infineon waren die ersten, die Mitte der 90er-Jahre Werke in der sächsischen Landeshauptstadt bauten. Beim amerikanischen Prozessorenhersteller AMD arbeiten derzeit 2400, bei Infineon 1700 und bei Qimonda noch 3200 Mitarbeiter.

Mittlerweile gilt Dresden als größter Standort der Chipindustrie in Europa. Insgesamt zählt der Verein „Silicon Saxony“ 1.200 Branchenbetriebe mit insgesamt 44.000 Arbeitsplätzen. Viele sind eng verzahnt mit der TU Dresden und dem Fraunhofer-Institut. Auch für sie sind die großen drei Konzerne wichtig. Durch die Kooperation Forschung/Unternehmen entstehen zahlreiche Neugründungen. hev


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Krisenherd Qimonda

Qimonda ist Hersteller von Speicherchips und eine Abspaltung von Infineon. Das Geschäft läuft schlichtweg katastrophal. Im vergangenen Quartal machte das Unternehmen einen Verlust von 401 Mio. Euro und war damit höher als der Umsatz (384 Mio. Euro). Der Preisverfall für Speicherchips ist rasant und betrifft derzeit alle Unternehmen der Branche.

Infineon, die immer noch fast 78 Prozent an Qimonda halten, suchen dringend einen Abnehmer für das Speicherchipunternehmen. Als Kaufinteressent für Qimonda
ist der US-Chiphersteller Micron im Gespräch. Gleichzeitig wird mit dem Freistaat Sachsen über eine Unterstützung verhandelt. Weltweit beschäftigt Qimonda noch 14.000 Leute. Im Zuge des Sparprogramms sollen 3.000 gehen, ein Drittel davon in Dresden. Qimonda ist in Dresden größter privater Arbeitgeber. hev