Karl Nolle, MdL

Agenturen ddp-lsc, 14:59 Uhr, 22.11.2008

Tillichs DDR-Nische - Regierungschef soll 1989 an Kader-Lehrgang teilgenommen haben

Kritik an «beschönigender» Vita
 
Dresden/Hamburg (ddp-lsc). Dass er als DDR-Bürger kein Widerstandskämpfer war, gibt Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) offen zu. Er habe es «wie viele andere gemacht, mir eine Nische gesucht und mich in meinem Heimatdorf in eine kleine Gemeinschaft der Kirche zurückgezogen», erklärte Tillich vor knapp zwei Monaten in einem Zeitungsinterview. Nun hat der «Spiegel» herausgefunden, dass der Sorbe Anfang 1989 als damals 29-Jähriger an einem Lehrgang vom 2. Januar bis zum 10. März an der DDR-Kaderschmiede «Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft» in Potsdam-Babelsberg teilgenommen haben soll.

Zwar könne dies Tillich «aufgrund seiner Erinnerung», wie sich die Staatskanzlei zitieren lässt, «weder abschließend bejahen noch verneinen». Allerdings ist seine Teilnahme am «Lehrgang zur Qualifizierung von Reservekadern des Rates des Kreises» in einer Beschlussvorlage zum «Jahresplan der sozialistischen Kaderarbeit 1989» ausgewiesen, die das Magazin im Kreisarchiv Kamenz aufspürte.

Dies passt nicht ganz zu Tillichs bisheriger Außendarstellung. Er will 1989 als 30-jähriger Familienvater auf dem Land mit Politik «wenig zu tun» gehabt zu haben. Und: «In die Blockpartei CDU bin ich eingetreten, damit ich Ruhe vor der SED hatte.»

Im aktuellen «Volkshandbuch» des sächsischen Landtags findet sich zum Abgeordneten Tillich der eher harmlos klingende Eintrag, von «1987 bis 1989 Angestellter der Kreisverwaltung Kamenz» gewesen zu sein. Auch unter «stanislaw.tillich.de» war noch am Samstag lediglich von einer «Tätigkeit in der Kreisverwaltung» die Rede. Auf seiner Internetpräsenz als Ministerpräsident ist indes im Unterschied zu seiner noch als Finanzminister verwendeten Vita inzwischen konkretisiert, dass er seit 1987 «als Mitarbeiter, ab Mai 1989 als Stellvertreter des Vorsitzenden, beim Rat des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung tätig» gewesen sei.

Die offizielle Bezeichnung lautete damals «Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates für Handel und Versorgung» - wobei dies umschrieb, dass Tillich einer von mehreren Vize-Ratschefs war, für Handel und Versorgung in Kamenz aber allein zuständig. Ein Posten, der wegen des altersbedingten Ausscheidens des vorherigen CDU-Amtsträgers vakant geworden war und der Blockpartei wieder zustand, wie sich Landtagsvizepräsidentin und Linke-Abgeordnete Regina Schulz erinnert.

Über die 60-Jährige weist das Volkshandbuch aus, von «1984 bis 1990 Politischer Mitarbeiter der SED-Kreisleitung» gewesen zu sein. Schulz sagte ddp, dass sie Tillich persönlich sehr schätze. Doch «beschönige» er seine Vita. Überhaupt nicht verstehen könne sie, «warum er plötzlich vergisst, wo er hergekommen ist». Schließlich sei er 1987 in die CDU eingetreten, nachdem ihm eine Laufbahn im Rat des Kreises angetragen wurde, für die dieses Parteibuch Bedingung gewesen sei. Ihr stößt auch deshalb sauer auf, dass Tillich kürzlich öffentlich über die DDR sagte, man müsse «aufpassen, dass die Wölfe nicht die Geschichte der Lämmer umschreiben».

Im Rat des Kreises habe Tillich seine Aufgaben «still und brav erledigt» und dabei als «fleißig und beliebt» gegolten, erinnert sich die einstige SED-Mitarbeiterin und spätere langjährige Kamenzer PDS-Chefin. Tatsächlich sei die Personalie Tillich auch von der SED-Kreisleitung gut geheißen worden. Deren Sekretariat habe gemeinsam mit dem Rat des Kreises «nach guten CDU-Leuten Ausschau gehalten» - weil der Posten eben nur von einem Christdemokraten besetzt werden konnte und sich «beide Spitzengremien in Personalfragen immer abstimmten».

Tillichs damals mit dem Rat des Kreises vereinbartes «Ausbildungsprogramm» als «Reservekader» für den Ratsposten vermerkt zur «politischen und fachlichen Weiterbildung» neben dem Kader-Lehrgang in Babelsberg als weitere Vorhaben auch einen Besuch der CDU-Parteischule 1988 und ein Teilstudium auf den Gebieten «Leitung der sozialistischen Wirtschaft» und «sozialistisches Recht» 1987/88. Ab 1. Oktober 1987 werde er «in den Staatsapparat übernommen», heißt es in dem von Tillich unterschriebenen Kontrakt weiter.

Der Fall könnte nun auch die Debatte um den Wortlaut des Ost-Papiers beeinflussen, das die CDU auf ihrem Bundesparteitag Anfang Dezember in Stuttgart beschließen will. Darin ist ein Bekenntnis zur Mitverantwortung der DDR-Blockpartei vorgesehen.
von ddp-Korrespondent Tino Moritz

ddp/tmo/stu
221459 Nov 08