Karl Nolle, MdL
Freie Presse Chemnitz, 24.11.2008
Fassadenkratzer: SPD-Rebell Nolle nimmt die CDU wieder ins Visier
Leitartikel von Hubert Kemper
Etwas spät kommt sie, die Diskussion um die Mitläufer, die mit dem süffisanten Spott von den „Blockflöten" so treffend beschrieben sind. Rechtzeitig mag sie kommen, um aufzuarbeiten, was liegen geblieben oder verdrängt worden ist. Ins Leere läuft sie dagegen, wenn daraus politisches Kapital geschlagen werden soll.
Genau diesen Ansatz hat der Autor einer Broschüre, die das politische Vorleben ranghoher CDU-Politiker auflisten soll. Es sind die medial erprobten Methoden des SPD-Mannes Karl Nolle, die den Lack an der bisher strahlenden Fassade des sächsischen Regierungschefs Stanislaw Tillich und einiger seiner Minister platzen lassen sollen. Rein zufällig erscheinen Teile des Büchleins vor dem Bundesparteitag der Union. Die Linken, von denen sich die CDU in Stuttgart noch schärfer abgrenzen will, wird Nolles Abrechnung über Doppelmoral und historische Schizophrenie freuen.
Es waren nicht Widerstandskämpfer, erst recht keine Helden, die zu DDR-Zeiten als Mitglied der CDU oder LDPD dem System zu einem demokratischen Feigenblatt verholfen haben. Doch zählten sie weder zu ranghohen Entscheidungsträgern, erst recht nicht zu den Tätern eines Unterdrückungsapparates. „Blockflöten" wie Tillich wollten mitschwimmen, ohne anzuecken – wie die Masse der Bevölkerung. Wie viele andere strebten sie nach etwas mehr Einfluss und einem besseren Leben. Wer darüber richten will, muss in dem System gelebt haben, das millionenfache Verbiegungen provoziert hat.
Vielleicht war es ein Fehler, dass sich der Ministerpräsident in seiner Biografie als einfacher Angestellter der Kreisverwaltung Kamenz beschrieben hat. Dass er inder Endphase der DDR noch eine bescheidene Karriere machte und zum Verantwortlichen für Handel und Versorgung aufstieg, findet man erst seit Samstag auf seiner Homepage. Die Funktion mag noch so einflusslos gewesen sein. Das Wegducken vor der eigenen Historie, damit vor der Geschmeidigkeit seiner Anpassungsfähigkeit, macht Tillich angreifbar. Nolle hat das genutzt.
19 Jahre nach der Wende sind die Ostdeutschen müde, mit ihrer Vergangenheit konfrontiert zu werden. Das mag Tillich und den CDU-Funktionsträgern mit Blockpartei-Geschichte zugute kommen Die sächsische Union hat sich konsequenter als andere Landesverbände mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt und personelle Konsequenzen gezogen. Dass heute Blockflöten statt Wende-Revolutionäre einflussreiche Positionen besetzen, mag man bedauern. Es ist aber auch ein Ergebnis des Personalmangels, der alle politischen Parteien belastet.
„Blockflöten" wie nuieh wollten mitschwimmen.
Nach Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt hat Karl Nolle nun den amtierenden Ministerpräsidenten ins Visier genommen. Tillichs Vorgänger scheiterten am Geld: Biedenkopf am Neid auf eine angeblich zu geringe Miete, Milbradt an der Landesbankpleite und am Neid auf private Anlagen bei der Sachsen-LB. Die aktuelle Kampagne hat eine andere Qualität. Gehen Tillich und seine CDU offensiv damit um, kann sich der eigentlich beabsichtigte Schaden sogar in einen Imagegewinn umwandeln.