Karl Nolle, MdL
Berliner Zeitung, 24.11.2008
Blockflöten und Schalmeien
Sachsens Regierungschef Tillich muss Stasi-Kontakte einräumen. Das belastet die Koalition im Land
BERLIN. CDU und SPD bilden auch in Sachsen eine Koalition, doch der Umgang miteinander ist wenig kollegial. Insbesondere der SPD-Abgeordnete Karl Nolle betreibt eine intensive, zuweilen polemische Auseinandersetzung mit der sächsischen CDU. Er wirft ihr eine mangelnde Aufarbeitung der Rolle vieler ihrer Funktionäre in der CDU der DDR, einer Blockpartei der SED, vor. Nolle hat jetzt eine Dokumentation unter dem Titel "Sonate für Blockflöten und Schalmeien" vorgelegt, in der er sich kritisch mit der Vergangenheit führender CDU-Politiker in der DDR auseinandersetzt.
Karriere in der DDR
Im Mittelpunkt steht dabei Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der bis zum Ende der DDR stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises Kamenz war.
Er hatte für die CDU auf der Liste der Nationalen Front bei der Kommunalwahl 1989 kandidiert - jener Wahl, deren offenkundige Fälschung erheblich zur Mobilisierung der Opposition in der DDR beigetragen hat. Zur Vorbereitung nahm Tillich laut Nolles Recherchen Anfang 1989 an einem mehrwöchigen Lehrgang an der Akademie für Staat und Recht in Potsdam teil. Auf eine Anfrage ließ der Ministerpräsident seine Staatskanzlei mitteilen: "Ob Herr Tillich an Veranstaltungen der Akademie teilgenommen hat, ist ihm nicht mehr erinnerlich."
Während Tillich bei verschiedenen Gelegenheiten erklärt hat, er sei der CDU 1987 nur beigetreten, um von der SED in Ruhe gelassen zu werden, und habe sich dann in eine Nische zurückgezogen, belegt Nolle das Gegenteil. Er nennt zahlreiche politische Aktivitäten Tillichs und dessen öffentliches Bekenntnis zur DDR sowie zur "Vervollkommnung der sozialistischen Demokratie". Tillich habe sich bewusst für eine Karriere als Berufspolitiker in der DDR entschieden.
Tillich selbst bestätigte gestern, dass er in seiner Kamenzer Zeit auch Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit unterhalten habe. Diese Kontakte seien dienstlich veranlasst gewesen: "Der Ministerpräsident erinnert sich an genau zwei Kontakte mit dem MfS", zitierte die Zeitung Die Welt Tillichs Sprecher. In einem Fall sei wegen einer beschädigten Versieglung an einer Tür des Computerraums in seinem früheren Betrieb ermittelt worden, in dem anderen Fall sei es um die Aufklärung über Versorgungsengpässe gegangen.
Neben anderen ehemaligen Ost-CDU-Kadern in wichtigen Funktionen der sächsischen Christdemokraten hat Nolle auch einen einstigen SED-Mann ausgemacht, der heute CDU-Mitglied ist: Landespolizeipräsident Bernd Merbitz, der zu DDR-Zeiten Major der Volkspolizei in Leipzig war. Ihm wird ein Zitat aus dem August 1990 zugeschrieben: "Ich bin davon überzeugt, dass die Umstellung auf den neuen Staat Leuten wie mir leichter fällt als den Menschen, die im Herbst die Revolution gemacht haben. Diese Menschen werden auch in der Zukunft nur Außenseiter sein."
Mit kritischer Würdigung
Karl Nolle wirft den Christdemokraten vor, dass sie heute keine Gelegenheit ausließen, die Anhänger der Linkspartei wegen ihrer SED-Vergangenheit und deren Verantwortung für das Unrechtssystem in der DDR anzugreifen, Leute, "mit denen sie vor der Wende noch dicke Tinte waren". Noch immer seien über vierzig Prozent der CDU-Abgeordneten im sächsischen Landtag einstige Mitglieder der Ost-CDU
In einem Vorstandsantrag für den CDU-Bundesparteitag in der kommenden Woche zur Auseinandersetzung mit der Linkspartei und deren SED-Vergangenheit hatten die Autoren das Thema Ost-CDU zunächst ausgespart. In einer Reaktion auf die öffentlichen Angriffe wird es nun aber eine Passage dazu geben - mit kritischer Würdigung
Holger Schmale, AFP