Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 25.11.2008

Verdrängte Altlasten

Sachsens Ministerpräsident Tillich hat plötzlich ein Problem mit seiner DDR-Vergangenheit
 
Wie heißt das alte Sprichwort? "Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein". Mit großem öffentlichen Getöse befasst sich die CDU seit einiger Zeit mit der DDR-Vergangenheit. Allerdings interessieren sich die Christdemokraten vor allem für die Vergangenheit der anderen. So soll beim kommenden CDU-Parteitag ein Vorstandsantrag verabschiedet werden, in welchem die Linkspartei als direkte Nachfolgerin der SED gegeißelt wird. Die SPD bekommt ebenfalls ihr Fett weg. Nur von der CDU-Vergangenheit ist nicht die Rede.

Das könnte sich nun ändern. Denn seit diesem Wochenende hat die CDU einen prominenten Problemfall: Sachsens Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich, der offensichtlich stärker in die DDR-Nomenklatura verstrickt war, als er bisher zugegeben hat. Seit 1987 Mitglied der Ost-CDU, zugleich "Mitarbeiter der Kreisverwaltung" im östlich von Dresden gelegenen Kamenz, so hieß es bis Sonntag unscheinbar in der offiziellen Biographie des 51-jährigen Christdemokraten.Den dürren Daten kann man nun hinzufügen, dass die DDR-Machthaber Tillich zu ihrer Führungsreserve zählten, weshalb der Kandidat in der sozialistischen Kaderschmiede in Potsdam eigens marxistisch geschult wurde. Noch im Mai 1989 trat er ein hohes Amt als stellvertretender Chef im Rat des Kreises Kamenz an, dort bekam er auch mindestens zweimal Besuch von der Stasi.

Eine Biographie, die in den neuen Bundesländern keine Seltenheit ist. Tausende von Männern und Frauen dürften ähnliche Stationen zu DDR-Zeiten passiert haben, manche waren mehr, andere weniger verstrickt. Denn auch für den SED-Staat gilt, was man längst von der Nazi-Diktatur weiß: Selbst der brutalste Unrechtsstaat kann sich auf Dauer nicht ohne die Unterstützung der Menschen halten. Und so gehören zu einem totalitären Regime stets nicht nur die Herrscher, sondern auch diejenigen, die ihnen helfen, an der Macht zu bleiben.

In der DDR betätigten sich nicht nur SED-Parteigänger als Mitläufer oder Mittäter. Vor allem auf kommunaler Ebene waren auch die Blockparteien CDU und LDPD in das Herrschaftssystem eingebunden - mancherorts stellten sie den Oberbürgermeister oder auch den Chef im Rat des Kreises. Nach der Wende konnten sich viele der sogenannten "Blockflöten" nicht mehr an ihre Aktivitäten von einst erinnern. So ging es wohl auch Tillich, der seine Blockflötenzeit in späteren Interviews gar als Opposition gegen den SED-Staat umdeutete.

Unangenehme Erinnerungen auszublenden ist zwar menschlich, politisch aber inakzeptabel. Denn ohne Erinnerung gibt es keine Aufarbeitung der Geschichte. Im Nachhinein zu bewerten, wie man sich in der DDR hätte verhalten sollen, ist schwierig. Es geht nicht um Schuld, sondern um Ehrlichkeit. Deshalb muss der vergessliche Tillich jetzt alle Karten auf den Tisch legen. Und die CDU sollte beginnen, sich mit ihrer eigenen DDR-Geschichte zu befassen.
Von Christiane Kohl