Karl Nolle, MdL

Hannoversche Allgemeine HAZ, 25.11.2008

Der Schrecken der sächsischen CDU

Karl Nolle, einstiger Jungsozialist aus Wunstorf, erinnert ostdeutsche Christdemokraten an ihre DDR-Vergangenheit
 
Dresden/Hannover. Das erste Mal, dass Karl Nolle in größerer Gesellschaft unangenehm auffiel, war Ende der sechziger Jahre. Kurt-Georg Kiesinger, ein Bundeskanzler mit NS-Vergangenheit, erschien damals während seiner Wahlkampfreise im Stadttheater von Wunstorf, einer mittelgroßen Stadt bei Hannover. Nolle, Mitte 20, hatte den kleinen Jungen einer Bekannten auf den Schultern, der unbedingt den Politiker sehen wollte. Laut vernehmbar rief Nolle in den Saal: "Guck mal, Paul, da vorne steht der böse Onkel!" Die anderen Gäste der Veranstaltung, überwiegend CDU-Anhänger, waren entsetzt. Fast hätte es einen Tumult gegeben.

Noch Jahrzehnte später erzählt man sich diese Episode in Wunstorf. Dabei hatNolle inzwischen in Dresden, wo er als Druckereibesitzer und SPD-Landtagsabgeordneter erfolgreich tätig ist, anderen CDU-Spitzenpolitikern weit mehr als nur solche verbalen Gemeinheiten entgegengeschleudert. Und er macht immer weiter, gerade in diesen Tagen.

2001 waren es die Enthüllungen von Nolle über angebliche Veruntreuung und sorglosen Umgang mit Steuergeldern, die am Ruf des Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf kratzten. Immer mehr seltsame Details kamen ans Tageslicht, bis Biedenkopf schließlich zermürbt aufgab. Als nun im vergangenen April Biedenkopfs Nachfolger Georg Milbradt als Ministerpräsident zurücktrat, war zuvor wieder Nolle aktiv geworden. Über viele kleine Anfragen im Parlament und in Untersuchungsausschüssen sammelte er Fakten zusammen, die Zweifel weckten an der Kontrolle der Aufsichtsgremien für die ins Trudeln geratene Sachsen-LB. Milbradts Ruf als solider Finanzpolitiker litt endgültig Schaden, als Berichte über einen günstigen Privatkredit der Landesbank für ihn laut wurden. Hinter diesen Informationen, so wird gemutmaßt, stecke wieder Nolle ­ der Herr über viele in Dresden kursierende geheime Informationen.

Seit dem vergangenen Wochenende nun rüttelt Nolle am Stuhl von Stanislaw Tillich, des nächsten sächsischen Ministerpräsidenten. Der Vorwurf lautet diesmal, der heute 49-jährige Regierungschef habe seine Biografie nachträglich geschönt, um seine frühere Nähe zum SED-Regime zu verschleiern. Nolle lancierte Informationen an die Öffentlichkeit ­ und löste ein mittelschweres Erdbeben in Sachsens CDU aus. Der Lebenslauf von Tillich auf der Homepage wurde über das Wochenende geändert. Inzwischen stehen sogar Vorwürfe im Raum, Tillich habe 1989 dienstliche Kontakte zur Stasi gehabt.

Bisher hatte im Lebenslauf des Politikers gestanden, er sei 1987 bis 1989 "Angestellter der Kreisverwaltung in Kamenz" gewesen. Dass Tillich tatsächlich einer der wichtigsten Funktionäre des Kreises war, wurde daraus nicht deutlich. Seit gestern nun wird die präzise Form offiziell verbreitet.

Damit nicht genug. Tillichs Vater war als SED-Funktionär in der Heimatgemeinde aktiv und kandidierte im Mai 1989 gemeinsam mit seinem Sohn (der in der Ost-CDU war) auf der "Liste der Nationalen Front" für die Kreistagswahl. Außerdem besuchte Tillich in dieser Zeit einen Lehrgang in einer Potsdamer Kaderschmiede der DDR. "Anfang 1989, als die Sorben in einer Heimat mit Gorbi-Ansteckern für Veränderung eintraten, schickte sich Tillich an, in der DDR Karriere zu machen", klagt Nolle. Dies wolle er ihm heute nicht vorwerfen, aber was er anprangere, sei der Umgang mit der Vergangenheit: "Anstatt dazu zu stehen, weicht er aus und erklärt sein Handeln für unpolitisch oder meint, mit dem Schritt in die Ost-CDU der SED ausgewichen zu sein. Er versucht, sein eigenes Handeln in einem anderen Licht erscheinen zu lassen."

Tillich, der in den ersten Monaten seiner Regierungszeit außerordentlich gewandt und volksnah auftrat, gerät durch diesen Vorfall jetzt in eine Zwickmühle. Erste Politiker von Grünen und SPD verlangen, er solle sich endlich seiner Vergangenheit stellen. Nolle indes zielt nicht auf den sächsischen Ministerpräsidenten allein, er legt seinen jüngsten Angriff auf die CDU breiter an.

"In dieser Partei, die immer aufschreit, wenn SPD-Politiker mit der Linkspartei zusammenarbeiten, haben frühere Funktionsträger der DDR an wichtigen Stellen Einfluss", betont der SPD-Mann. "Scheinheilig und doppelbödig" sei daher das Auftreten der CDU im Osten. Vor allem in Sachsen, aber auch in Thüringen. Dort wird Ministerpräsident Dieter Althaus vorgeworfen, 1989 als stellvertretender Schulleiter in Treue zur DDR gestanden und die Jugendweihe verteidigt zu haben.

In Nolles Aufzeichnungen ist außer von Tillich auch von Frank Kupfer und Albrecht Buttolo die Rede, den heutigen sächsischen Ministern für Umwelt und Inneres, die vor 1989 in der Blockpartei nicht nur gewirkt, sondern auch wichtige Funktionen gehabt hätten, außerdem von CDU-Fraktionschef Steffen Flath, von etlichen Landräten und auch vom früheren Innenminister Heinz Eggert, der zwar aus der DDR-Opposition kam, aber dann frühere Stasi-Mitarbeiter in den Polizeidienst übernommen und angewiesen habe, diese "in der Öffentlichkeit zu verstecken". Nolle spricht über den Landespolizeipräsidenten, der früher SED-Mitglied und Major der Kriminalpolizei gewesen sei.

Es ist wie so oft bei Nolle: Er kombiniert halbwegs bekannte Tatsachen mit Zuspitzungen und Vermutungen ­ und formt daraus ein abgerundetes Bild. Die Bürgerrechtler, die 1990 zur CDU gekommen seien, hätten mittlerweile in Sachsen ihr Gewicht verloren, die Belasteten aus der Zeit vor 1989 aber seien stark wie nie zuvor. Diese Darstellung muss die CDU eine Woche vor ihrem Bundesparteitag, bei dem sie ihre Wurzeln in der Opposition gegen das SED-Regime feiern will, hart treffen. Nolle hat derweil angekündigt, seine Vorwürfe zu untermauern: In Kürze will er ein Buch zu diesem Thema vorlegen. Das kommt passend, denn im Sommer 2009 sind im Sachsen Landtagswahlen.
Von Klaus Wallbaum