Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 12.04.2001

Es war einmal: Biedenkopfs heile Welt

Affären begleiten den prosaischen Abstieg des sächsischen Ministerpräsidenten
 
Der Herrscher? Hat edel zu sein wie ein Ritter, weise wie Sokrates und selbstlos wie ein Samariter. Die Frau an seiner Seite? Diene dem König treu ergeben und führe bescheiden sein Haus. Das Volk? Folge dankbar und fleißig,weil es auserwählt wurde. Selbst Grimms Märchen wären einer allzu märchenhaften Überhöhung geziehen worden,hätten die Brüder in ihrer Zeit solch eine Idylle aufgeschrieben. Um so höher muss die Leistung von Kurt Biedenkopf und seiner Frau, aber auch der Sachsen und ihrer Medien gewertet werden. Zehn Jahre ist es ihnen gelungen, sich im richtigen Leben eine prädemokratisch anmutende Märchenwelt nach diesem Muster einzurichten.

Und dies zum gegenseitigen Nutzen: Sachsen galt als Musterland des Ostens, Biedenkopf - 1989 eine Randfigur - stieg zum beliebtesten deutschen Politiker auf. So konnte er leicht unpopuläre Entscheidungen durchsetzen. Zwar war stets die PR weitaus besser als die Performance. Dennoch profitierte Sachsen von diesem märchenhaften Image und der Aura des Regierungschefs. Die Symbiose konnte gelingen, weil viele Sachsen sich in der orientierungslosen Nachwendezeit nach einer Lichtgestalt sehnten. Biedenkopf gab die Rolle vorzüglich, weil er sich samt Gattin für eine realistische Besetzung hielt: eben tatsächlich selbstlos, sich aufopfernd, nur der guten Sache verpflichtet. Darum fällt es ihm jetzt so schwer zu erkennen, dass seine heile Welt in Sachsen kaputt ist - zerstört durch ihn selbst.

Das Königsbild hat eine neue Deutung bekommen: Was früher als positiv, als standesgemäß galt, wird nun als negativ angeprangert. Der Auslöser für die Umkehrung der Verhältnisse war sein desaströser Umgang mit seiner Nachfolge, der Ende Januar im Rauswurf des begabten Finanzministers Georg Milbradt gipfelte. Sein Vorgehen entsprach so wenig dem selbstgestrickten Image, dass nun auch alles weitere anders gesehen wird. Das lässt sich am peinlichen Verlauf seiner jüngsten Affäre ablesen. Als erstmals über die im armen Osten beispiellos anspruchsvolle Unterbringung der Biedenkopfs im staatlichen Gästehaus berichtet wurde, arbeitete sein Stab nach bewährtem Muster.

Tatsächlich sei die Dienstwohnung arg eng, wurde zunächst behauptet - so eng, dass man sich kaum darin bewegen könnte. In einer beklemmend rührseligen Landtagsansprache dankte dann der Chef der Staatskanzlei den Biedenkopfs für ihren aufopferungsvollen Einsatz für Sachsen. Natürlich seien alle Vorwürfe haltlos. Der Service der Bediensteten, vom Gärtner bis zur Putzfrau, stehe ihnen zu.

Früher hätte Biedenkopf sich darauf verlassen können, dass die Huldigungen von regionalen Medien treu transportiert werden. Er galt als unantastbar, als könnte es um ihn keine Affären geben. So konnte er vor Jahren den Vorwurf entschärfen, er habe beim Bau eines Behörden-Centers bei Leipzig seinen besten Freund begünstigt, indem er zugab, dass er das Geschäft zwischen dem Land und seinem Freund durchaus beförderte. Er habe dies aber für Sachsen getan. Jedem anderen wäre zu Recht vorgehalten worden, dass sich aus Gründen politischer Hygiene seine Beteiligung verboten hätte. Biedenkopf erlebt diese Normalität erst jetzt. Erstmals setzen nun auch in Sachsen die Kritiker bei ihm konsequent nach. Sie kritisieren höfische Zustände, um die alle seit Jahren wussten.

Biedenkopf kann nicht hoffen, dass wieder Ruhe einkehrt. Das liegt nur zum Teil an der Brisanz der aktuellen Affäre. Sollte er sie durchstehen, wird weiterhin die ungeklärte Nachfolge Partei und Öffentlichkeit mehr beschäftigen, als es die Geschicke des Landes tun. Sachsens Union ist darüber ebenso gespalten wie die Öffentlichkeit.

Diese Situation wird Biedenkopf nicht lösen können, indem er einfach weiter im Amt bleibt.Um Ruhe zu gewinnen, muss ein Nachfolger viel schneller bestimmt werden, als Biedenkopf es eigentlich wollte - und der sollte auch bald die Geschäfte übernehmen. Sonst wird die Demontage der einstigen Lichtgestalt kein Ende nehmen. Biedenkopf hat sie selbst eingeleitet.
(Von Jens Schneider)