Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 26.11.2008

„1990 wäre ich gegen ihn gewesen“

Ex-Innenminister Heinz Eggert über Nischen, Täter und Mitmacher in der CDU der DDR.
 
Frage: Landtagsgremien, Ministerien und Kommunen haben Anfang der 90er Jahre Listen von Funktionsträgern aufgestellt, die sie nie wieder im Staatsdienst sehen wollten. Darauf standen auch die Vorsitzenden der Räte der Kreise – und deren Stellvertreter. Stanislaw Tillich könnte demnach heute kaum Ministerpräsident sein...

Heinz Eggert: Ganz ehrlich: Wenn er 1990 zur Wahl gestanden hätte, ich wäre gegen ihn gewesen.

Was hat sich geändert?

Man muss die Zeitläufe aus heutiger Perspektive sehen. Die Kürze seiner Mitarbeit an der Spitze des Kreises und die 20 Jahre, die dazwischen liegen. Tillich ist übrigens schon vor 1999 ein Ministeramt angeboten worden, aber damals hat er wegen seiner Biografie noch Nein gesagt.

Und heute ist seine Karriere beim Kreis Kamenz vertretbar?

Tillich ist kein Täter. Er war allenfalls in den letzten Monaten der DDR ein Mitmacher. Dass das kein Ruhmesblatt ist, räumt er selbst ein. Dennoch ist er heute ein tragbarer, vertrauenswürdiger Mann.

Ein bisschen mehr Offenheit wäre aber nötig gewesen?

Es war kein Geheimnis. Ich wusste von seiner Funktion in der DDR schon seit seiner Kandidatur zum EU-Parlament 1994. Aber nun hat die Debatte auch für die breite Öffentlichkeit einen Klärungsprozess angestoßen: Tillich und andere sprechen heute offener und ehrlicher über die Dinge, für die sie sich bisher geschämt haben.

Sie haben in der DDR einen anderen Weg gewählt, sind gar nicht erst in eine Partei eingetreten ...

Ich wollte meine Unabhängigkeit als Pfarrer nicht verlieren. Mir war klar, dass die CDU kein Eigenleben hatte, sondern gleichgeschaltet war, ein Feigenblatt für die SED-Herrschaft. Dennoch habe ich vielen Studenten empfohlen, in die CDU einzutreten, als Nische, in der man ihnen ihr Leben nicht verbaut. Im Oktober 1990 bin ich dann selbst Mitglied geworden, um zu verhindern, dass wendige CDU-Mittäter wieder die Regierungsgeschäfte übernehmen.

Als Sie 1990 Landrat in Zittau wurden haben Sie alle Führungskader mit dem eisernen Besen ausgekehrt, auch CDU-Leute. Warum?

Die Führungsriege der DDR hatte keine Legitimation mehr, CDU-Leute ebenso wenig wie SED-Genossen. Und man musste den Bürgern ihre Würde wiedergeben. Mein einziger Irrtum war: Ich glaubte, man werde überall so verfahren.

Wie groß ist heute der Konflikt der Bürgerrechtler mit den Blockflöten in der Ost-CDU?

Die Zeit der Reiberei ist vorbei, man hat sich zusammengerauft. Umso mehr ärgert mich die Doppelzüngigkeit der SPD. Als wir noch den Kampf mit den Alt-Blockföten geführt haben, hat die SPD schon darüber diskutiert, SED-Mitglieder aufzunehmen. Und die West-SPD hat schon 1987 mit der SED ein gemeinsames Grundwertepapier verfasst!

Welches Signal sollte die CDU vom nächsten Parteitag aussenden?

Man sollte den Vorschlag von Herrn Pofalla ohne Einschränkungen annehmen: Dass die alte Blockpartei CDU eine unrühmliche Rolle in der DDR gespielt hat.
Interview: Sven Heitkamp