Karl Nolle, MdL

DER SPIEGEL 49/2008, Seite 70, 30.11.2008

Stütze und Feigenblatt - Die Schwierigkeiten der CDU beim Umgang mit ihrer Rolle als Blockpartei

Die Union hat eine Debatte über die CDU-Blockpartei nie für nötig befunden. Im Wahljahr 2009 bringt sie dieses Versäumnis in die Defensive.
 
Die Kanzlerin ist schon im Übermorgen. Die Union, so verkündete Angela Merkel mit Blick auf den Stuttgarter Bundesparteitag in dieser Woche, wolle "Deutschland in das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts führen".

Ein schönes Versprechen für die Parteibasis. Doch vor der Zukunft, das wurde mit jedem Tag der vorigen Woche deutlicher, ist erst mal die Vergangenheit dran: Vorbei an Entlastungsprogramm, Klimaschutz und flexiblem Arbeitsmarkt führt der Weg zurück in die schmuddelige kleine DDR.

19 Jahre nach dem Mauerfall hat die CDU mit der Diskussion um ihren sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich eine veritable Blockflöten-Debatte eingeholt. Das ist in dem Einzelfall schon misslich genug. Vor allem aber schwächt es ihre Strategie, auch im Dauerwahlkampfjahr 2009 gegen die rot-rote Gefahr zu agitieren und in der Linkspartei die Wiederkehr der SED zu erkennen.

Es ist eine Frage der eigenen Glaubwürdigkeit, der sich die CDU plötzlich stellen muss. Wie wollen Ministerpräsidenten vor ehemaligen DDR-Eliten warnen, wenn sie selbst kein klares Verhältnis zu ihrer Vergangenheit finden? Wie soll die Union gegen die Linke argumentieren, ihren Hauptkonkurrenten in den neuen Ländern, wenn sie selbst mit ihren Blockflöten Stanislaw Tillich und Dieter Althaus an der Spitze in die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen zieht?

"Mit der Anti-Kommunismus-Keule gewinnt man im Osten keine Wahlen", glaubt der einstige DDR-Bürgerrechtler und jetzige CDU-MdB Günter Nooke. Das ewige Erinnern daran, dass die Linkspartei SED-Nachfolgepartei sei, wirke für die Union "kontraproduktiv". CSU-Mann Peter Gauweiler assistiert: Jeder solle lieber vor seiner eigenen Haustüre kehren, so auch die CDU.

Fast 20 Jahre hat die Union das nicht für nötig befunden, ihre Rolle im SED-System nie überzeugend aufgearbeitet.

Wie es wirklich um die CDU im Osten vor dem Herbst 1989 bestellt war, lässt sich den Materialien der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur entnehmen. Dort steht, die CDU sei von 1950 bis 1989 zur "kleinbürgerlichen Blockpartei" deformiert worden, die "der Umsetzung kommunistischer Politik unter spezifischen Zielgruppen" diente. Sie galt als "Übermittler politischer Entscheidungen der SED" und unterschied sich ideologisch von dieser "nur durch die, ergänzend zum Marxismus/Leninismus, auch christliche Begründung für politisches Handeln".

Staatsnähe wurde mit Ämtern belohnt. Rund 36 Prozent der staatlichen Stellen wurden von Christdemokraten besetzt. Sie hatten mehr Ämter und Funktionen als alle anderen Blockparteien. Und etliche dieser alten Kader, die jetzt gegen die Linken kämpfen sollen, sitzen für die gesamtdeutsche CDU in Bundestag, Landesparlamenten, Ministerien und Staatskanzleien.

Mit ihren Biografien sind sie in der Regel betont zurückhaltend. Ein Phänomen, das sogar die Kanzlerin einschließt. Auf den Internet-Seiten von Bundestag und Kanzleramt erfahren Besucher zwar, dass Merkel als "wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften" in Berlin wirkte. Ihre Arbeit in der Leitungsebene der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) im Institut enthält sie dem Volk indes vor.

Womöglich weil FDJ-Funktionäre als Kampfreserve der SED galten. Dass zu ihren Aufgaben auch Agitation und Propaganda gehörten, bestreitet Merkel: "Ich kann mich nicht erinnern, in irgendeiner Weise agitiert zu haben." Ein richtiges Dementi klingt anders.

So ist es wohl auch zu verstehen, dass der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich seine Vergangenheit als Mitglied im Rat des Kreises als "Tätigkeit in der Kreisverwaltung" verbrämte. Sein Landesverband setzt auf harten Abgrenzungskurs zur Linken. Fraktionschef Steffen Flath, selbst 1983 in die Block-CDU eingetreten, stellt die Linken gern auf eine Stufe mit der rechtsextremen NPD. Eigene Nähe zum SED-Staat kommt da nicht gut an.

Erst im Verlauf der vergangenen Woche erinnerte Tillich sich wieder, 1989 einen Lehrgang für Marxismus-Leninismus an der SED-Kaderschmiede für Staat und Recht in Potsdam besucht zu haben - nachdem der SPIEGEL am Montag darüber berichtet hatte. Auch sein Wehrdienst an der innerdeutschen Grenze und beruflich bedingte Kontakte zur Staatssicherheit wurden öffentlich. Die späten Erinnerungen könnten unangenehme Folgen für den Regierungschef haben. Sächsische Minister müssen bei Amtsantritt eine Erklärung zum Lebenslauf ausfüllen, wie Tillich im Jahr 1999. Darin wird detailliert nach gelegentlichen Stasi-Kontakten, der eigenen Stellung in der DDR und nach dem Besuch von Parteischulen gefragt.

In vergleichbaren Fällen haben falsche Antworten kleinen Beamten und Angestellten den Job gekostet: Die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses wird am Ende der Erklärung angedroht. Die Staatskanzlei wollte das Papier vorigen Freitag nicht freigeben. Eine Sprecherin versicherte knapp, "nach Auskunft der zuständigen Verwaltungseinheit" habe Tillich die Erklärung vollständig und zutreffend beantwortet. Doch der Teufel liegt im Detail. Die Parteischule ist offenbar nicht angekreuzt. Denn Tillich lässt ausrichten: Eine derartige Schule habe er nie besucht.

Der Ausbildungsplan des Rates des Kreises "für den Kollegen Tillich", das der Ministerpräsident selbst verteilen ließ, sah freilich anderes vor. Von September bis Dezember 1988 wird dort der Besuch der CDU-Parteischule "Otto Nuschke" im Schloss Burgscheidungen vermerkt. In derselben Rubrik "politische und fachliche Weiterbildung" ist auch jener Lehrgang in Potsdam vermerkt, an den sich Tillich erst nach anfänglichem Zögern erinnerte.

Auch bei anderen Würdenträgern mit Blockflöten-Vita schwindet die Erinnerung. Deutschlands dienstältester Landwirtschaftsminister, Volker Sklenar aus Thüringen, hat in seinen offen zugänglichen Lebensläufen zwar die CDU erwähnt, aber nicht die Demokratische Bauernpartei (DBD), der er 1969 beitrat. Auch sie war integriert in das System der Blockparteien, Sklenar saß im Kreisvorstand. Nach der Wende schlossen sich CDU und DBD zusammen. Warum man zur Blockflöten-Vergangenheit keinen Hinweis findet? "Das ist reiner Zufall", so die Pressestelle. Einfach nicht daran gedacht.

Amtskollegin Petra Wernicke in Sachsen-Anhalt hält es ebenso. Auch sie trat dem DBD bei, brachte es bis in den Rat des Kreises. Das habe doch heute keine Bedeutung mehr, versichert ihr Sprecher. Immerhin lässt Wernicke ausrichten, sie sei nur Sachbearbeiterin beim Rat gewesen. Zuständig für "Futterökonomie".

Das Verdrängen ist weit verbreitet. Dass Sachsens Umweltminister Frank Kupfer in der DDR hauptamtlicher Funktionär der Blockpartei war, erfahren die Besucher seiner virtuellen Ministeriumsseite, das Jahr seines Beitritts nicht. Auch Sachsens Sozialministerin Christine Clauß lässt ihren CDU-Eintritt 1984 außen vor.

Über die Rolle der Union im SED-Staat, bedauert der ehemalige mecklenburgische CDU-Abgeordnete Reinhardt Thomas, sei zu wenig geredet worden. "Eine echte Auseinandersetzung über die Vergangenheit der CDU als Stütze und Feigenblatt der SED-Diktatur hat nie stattgefunden." 2003 haben Thomas und andere Landtagsabgeordnete der CDU versucht, eine solche Debatte anzustoßen. "Vergebens, weil sich Angela Merkel auf die Seite der alten Blockpartei-Kader geschlagen hat", wie Thomas noch immer grollt.

Nun läuft die Diskussion von ganz allein. Und sie treibt mitunter seltsame Blüten. So erinnerte sich Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo nun plötzlich an seine Mitgliedschaft bei den Kampfgruppen. Und er lieferte eine ganz eigene Begründung für seinen Beitritt in die Ost-CDU im Jahr 1979. Seine Frau habe in einer Schule gearbeitet, in die zahlreiche Kinder von Stasi-Mitarbeitern gegangen seien. Da sei man lieber schnell in die CDU eingetreten.
GUNTHER LATSCH, MARIE VON MALLINCKRODT, STEFFEN WINTER