Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 01.12.2008

"Blockflöten"-Affäre: Stanislaw Tillichs geschönter DDR-Lebenslauf

 
Sachsens Regierungschef gerät weiter in Erklärungsnot. Nach Recherchen der WELT hat Stanislaw Tillich (CDU) als Abgeordneter offenbar die letzte Volkskammer der DDR getäuscht. Der ehrliche Umgang mit Biografien war eine Kernforderung der friedlichen Revolution im Herbst 1989.

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) gerät in der „Blockflöten“-Affäre weiter in die Defensive. Offenbar hat der Politiker bereits 1990 als Abgeordneter die letzte Volkskammer über seinen Werdegang im SED-Regime getäuscht. Sein Eintrag im „Biografischen Handbuch“ des einzig demokratisch legitimierten Parlaments der DDR ist nach Recherchen dieser Zeitung unvollständig und wahrheitswidrig.

Die am 18. März 1990 aus freien Wahlen hervorgegangene Volkskammer ließ nach ihrer Konstituierung ein Mitgliederverzeichnis erstellen. Jeder der 400 Abgeordneten musste dazu Auskunft zu seinem Beruf und Lebenslauf sowie zu seinen bisherigen Funktionen in Blockparteien und im Staat machen. Das Verzeichnis liegt seit dem Jahr 2000 auch in Buchform vor. Dort sind der DDR-Biografie von Tillich 20 Zeilen gewidmet. Die Angaben zu seiner politischen Karriere sind grob irreführend.

So wird verschwiegen, dass Tillich nach den Scheinwahlen am 7. Mai 1989 als Kandidat der DDR-CDU in den Kreistag von Kamenz einzog und am 25. Mai 1989 zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Kreises bestimmt wurde. Zu dieser Funktionärstätigkeit im SED-Staat heißt es im Handbuch beschönigend: „Seit Mai 1989 Ratsmitglied für Handel und Versorgung des Rates des Kreises Kamenz.“

Unter der Rubrik „Beruf“ ist „Verwaltungsangestellter“ vermerkt. Diese Darstellung entspricht nicht den Tatsachen. Denn Tillich übte eine politische Wahlfunktion aus und wurde dadurch Nomenklaturkader. Schon vor seiner Ernennung zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Rates wurde er als „politischer Mitarbeiter“ geführt. Vergleichbare Falschangaben finden sich in allen Lebensläufen, die Tillich nach der Wiedervereinigung veröffentlichte. Erst am vergangenen Wochenende sah er sich nach Medienberichten genötigt, seine Biografie auf der Internetseite der Staatsregierung nachbessern zu lassen.

Zu den Kernforderungen der friedlichen Revolution im Herbst 1989, zählte der transparente Umgang mit Biografien. Allein deshalb hat der sächsische Ministerpräsident ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Gleichzeitig wirft ihm der „Spiegel“ vor, 1999 bei seinem Eintritt in die sächsische Regierung falsche Angaben gemacht zu haben. Damals wurde der Sorbe im Kabinett von Kurt Biedenkopf (CDU) zum Minister für Bundes- und Europa-Angelegenheiten. Dazu musste er die übliche Erklärung zum Lebenslauf ausfüllen. Darin wird detailliert nach gelegentlichen Stasi-Kontakten, der eigenen Stellung in der DDR und nach dem Besuch von Parteischulen gefragt. Bei wahrheitswidrigen Angaben droht die fristlose Kündigung.

Die Staatskanzlei weigert sich, die Antworten von Tillich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Verneint hat der Regierungschef damals offenbar den Besuch einer Parteischule. Laut einem von ihm selbst unterschriebenen Ausbildungsplan verpflichtete er sich zu Beginn seiner politischen Karriere allerdings zum Besuch der CDU-Parteischule „Otto Nuschke“ in Burgscheidungen. Entsprechende Schulungen waren Voraussetzung für die Übernahme von wichtigen Funktionen in Partei und Staat. Sachsens Regierungssprecher bestreitet jedoch eine Teilnahme von Tillich an dem entsprechenden Lehrgang.

Der für den Aufbau Ost zuständige Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) forderte unterdessen die CDU auf, sich mit ihrer Vergangenheit als Block-Partei auseinanderzusetzen. „Das ist bei der CDU bisher nicht genügend geschehen“, sagte er der „Super-Illu“. Auf ihren Stuttgarter Bundesparteitag will die CDU nun ein Papier zur DDR-Vergangenheit verabschieden. Das Vorhaben wird seit gut einer Woche durch die Verstrickung von Tillich in das SED-Regime überschattet.
Von Uwe Müller