Karl Nolle, MdL
ZDF Berlin direkt, 30.11.2008
Streit um die Blockflöten - Die CDU diskutiert über ihre DDR-Vergangenheit
Einer ist das Gesicht dieser Debatte geworden, mit der die CDU fast gequält Geschichte aufarbeitet: Stanislav Tillich ...
Mit dem Verhältnis der SPD zur Linkspartei und deren SED-Vergangenheit wollte die Union im Superwahljahr auf Stimmenfang gehen. Nun wird vor dem Parteitag in Stuttgart die eigene Ost-Geschichte diskutiert und könnte leicht zum Bumerang werden.
Zum ersten Mal Gegenstimmen in der Volkskammer der DDR: Eine kleine Sensation, die sogar dem West-Fernsehen einen Bericht wert war. 1972 war das, zur Abstimmung stand das Abtreibungsgesetz. 14 CDU-Abgeordnete stimmen mit Nein. Es war das erste Mal - und es war das letzte Mal. Die Ausnahme von der Regel sagt viel aus über die Regel. Und in der Regel flötete die Blockpartei CDU nur eine Melodie - wie zum Beispiel Gerald Götting, damals Vorsitzender der Ost-CDU, auf dem Parteitag 1977: "Unwiderruflich haben wir uns für den Sozialismus entschieden. Denn Sozialismus ist Frieden und Freiheit, ist Demokratie und Menschlichkeit."
Kleinlautes Bekenntnis
Die Nähe zur SED war den Mitgliedern durchaus bewusst: "Wer damals in die CDU eintrat, wusste ganz genau, dass er half, die Politik der SED mit umzusetzen", sagt Ute Schmidt, Historikerin an der Freien Universität Berlin. "Es war alles vorgegeben, es musste alles im Konsens mit der SED geschehen." Einer ist das Gesicht dieser Debatte geworden, mit der die CDU fast gequält Geschichte aufarbeitet: Stanislav Tillich hat gleich zwei CDU-Karrieren gemacht. Ministerpräsident von Sachsen ist er heute. Verwaltungs-Funktionär im Kreis Kamenz war er zu DDR-Zeiten.
Sein Bekenntnis dazu klingt ziemlich kleinlaut: "Das ist Teil meiner Biografie, zu der ich nach wie vor stehe. Ich möchte ergänzend dazu sagen, dass es aus heutiger Sicht ein Schritt war, den man so nicht wiederholen würde. Aber das ist 20 Jahre später sicher eine ganz andere Beurteilung." Ungewöhnlich ist die Biografie Tillichs nicht. Nicht seine Ämter werden ihm zum Problem, sondern sein zaudernder Umgang mit ihnen. Tillichs Homepage wurde im Laufe der Woche korrigiert, Erinnerungslücken schlossen sich nur auf Nachfrage.
Am totalitären System mitgewirkt
Das kritisiert auch Karl Nolle von der SPD in Sachsen: "Ministerpräsident Tillich hat in mehreren von sich selbst verfassten Biografien nicht die Wahrheit gesagt. Er hat einen Teil der Wahrheit verschwiegen. Alles, was jetzt herausgekommen ist, ist durch öffentlichen Druck herausgekommen. Es wird immer nur das zugegeben, was gerade bewiesen ist - und nicht mehr."
Mehr als 20.000 Mitglieder der DDR-CDU hatten Funktionen in Kreisen und Bezirken, besuchten - wie Tillich - auch Schulungen der DDR-Kaderschmiede. Seit die Helmut-Kohl-Partei des Westens die Ost-CDU binnen weniger Wochen integrierte, schleppt sie einen hässlichen Teil Vergangenheit mit sich herum. Deutlicher als je zuvor will sie sich nun dazu bekennen. In einem Leitantrag zum Parteitag steht: "Viele aufrechte Freunde hielten die Idee der christlichen Demokratie auch in Zeiten der Diktatur wach." Gleichwohl habe die CDU am totalitären System der SED-Diktatur mitgewirkt.
Volljährig und erwachsen
Diese Mitwirkung gesteht auch Sachsens Ministerpräsident Wolfgang Böhmer ein: "Die Begeisterung, dieses System zu stützen, war in der CDU und den anderen Blockparteien unterschiedlich entwickelt. Da gab es Leute, die durchaus eine gewissen Überzeugung für das System artikuliert haben." Sein Thüringer Amtskollege Dieter Althaus ergänzt: "Natürlich gab es die Mitverantwortung. Aber es gab auch viele in der CDU, die versucht haben, im kleinen Raum der Gesellschaft ihre Vorstellung von christlichen Werten umzusetzen und zu erhalten. Beide Perspektiven gab es und müssen heute bedacht werden."
Während in Berlin mit dem Palast der Republik die Reste der DDR-Diktatur Stein für Stein verschwinden, klärt die CDU noch immer ihre Rolle im einstigen Regime. Es ist ungewöhnlich, dass man in der Politik so viele Selbstzweifel hört wie beim Thüringer CDU-Bundestagsabgeordneten Volkmar Vogel: "Wir kleinen Parteimitglieder an der Basis, wir haben das so nicht gewusst. Ich muss heute selbstkritisch sagen: Wir haben uns auch nicht dafür interessiert. Das ist ein Vorwurf, den ich mir heute mache. Darüber muss man reden."
18 Jahre sind vergangen, seit die CDU eine gesamtdeutsche Partei ist. Volljährig und erwachsen eigentlich. Der Debatte um die Vergangenheit merkt man das nicht an.
von Stefan Leifert
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