Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, Seite 6, 01.12.2008

Neue Runde in Tillich-Debatte

Strittiger Fragebogen zur Rolle im DDR-System – Staatskanzlei: Biografie vollständig dargestellt
 
Dresden. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) gerät wegen seiner Rolle im DDR-System erneut in Erklärungsnot. Am Wochenende wurde bekannt, dass Minister in Sachsen einen Fragebogen zu möglichen Verstrickungen vor der Wende ausfüllen müssen. Die Staatskanzlei weigert sich, Details aus dem Papier offen zu legen – und nährt damit den Verdacht, Tillich könnte nicht wahrheitsgemäß geantwortet haben.

Am Sonntag vor einer Woche gingen Regierungssprecher Peter Zimmermann und CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer noch in die Offensive. Nach ersten kritischen Berichten zur Funktion Tillichs als Block-CDU-Mitglied im Rat des Kreises Kamenz veröffentlichte das Duo in einer einmaligen Aktion sowohl die Stasi-Akte als auch das „Ausbildungsprogramm für den Kollegen Tillich als Reservekader“ in Kamenz. Darin finden sich unter anderem zwei Weiterbildungen: eine Anfang 1989 an der „Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft“ in Potsdam-Babelsberg, die Tillich mittlerweile eingeräumt hat; und eine weitere an der CDU-Parteischule in Burgscheidungen von September bis Dezember 1988. Das Papier trägt die Unterschrift von Tillich.

Eben diese beiden Lehrgänge bringen den Regierungschef jetzt in die Bredouille. Das Magazin Der Spiegel berichtet in seiner neuesten Ausgabe von einer detaillierten Erklärung, die Minister im Freistaat vor Dienstantritt ausfüllen müssen. Darin werden Ressortchefs mit ostdeutscher Herkunft nach gelegentlichen Stasi-Kontakten, Mandaten sowie Funktionen in der DDR gefragt – und unter Punkt 6 nach dem Besuch von „Parteischulen oder ähnlichem“.

Die Staatskanzlei weigert sich beständig, konkret Auskunft darüber zu geben, an welchem Punkt Tillich wie geantwortet hat. Nur soviel gab Zimmermann am Wochenende preis: Tillich habe „keine Parteischule besucht“, auch nicht die der CDU in Burgscheidungen. Und: „Der Ministerpräsident hat seine Biografie vollständig dargestellt und wurde von den zuständigen Stellen mehrfach überprüft. Er hat alle Fragen zu seiner Biografie beantwortet und wird das auch weiterhin tun.“

Dabei bezog sich Zimmermann auf jene Erklärung Tillichs vom vergangenen Montag, in der dieser eine Verstrickung ins DDR-System eingeräumt hatte. „Meine Funktion im Rat des Kreises Kamenz ist kein besonderes Ruhmesblatt“, hatte er gesagt, „heute würde ich mich anders entscheiden.“ Das geschah zwar mit reichlicher Verzögerung, war aber ebenfalls offen. Das Problem ist nur: Die aktuellen Fragen werden davon nicht berührt. Denn der Bogen, den Tillich als neuer Minister im Kabinett Kurt Biedenkopfs (CDU) 1999 hat ausfüllen müssen, endet mit einer klaren Ansage: Sollten die Angaben unvollständig oder unwahr sein, sei „das Land Sachsen berechtigt, das Arbeitsverhältnis unter Umständen fristlos zu kündigen“.

Zwar ist offen, was Tillich 1999 konkret angekreuzt hat. Zimmermanns Erklärung von gestern aber schließt zumindest nicht aus, dass der Regierungschef die Frage nach dem Besuch von Parteischulen mit nein beantwortet hat. Ganz offensichtlich hat er die CDU-Schule „Otto Nuschke“ im Schloss Burgscheidungen nicht durchlaufen. Dass er Anfang ’89 aber in Potsdam war, steht fest, und im Bogen wird nach „Parteischulen oder ähnlichem“ gefragt. Zu klären wäre damit, wie diese Weiterbildung zu werten ist. Hinzu kommen jene zwei Stasi-Kontakte, die Tillich ebenfalls eingeräumt hat.

Entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung in Dresden. „Ich bin verwundert darüber, dass im Wochenrhythmus neue Punkte aus Tillichs Biografie die Runde machen“, sagte die Fraktionschefin der Grünen, Antje Hermenau. „Sollte an den Vorwürfen nichts dran sein, ist es mir ein Rätsel, warum die Staatskanzlei die betreffende Erklärung nicht veröffentlicht.“ Noch härter ging der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle zu Werke. Erst forderte auch er die Offenlegung des Fragebogens, dann sprach er vom Verdacht der „arglistigen Täuschung“.

Das nahm Ex-Innenminister Heinz Eggert (CDU) zum Anlass, seinerseits gegen Nolle zu schießen. Dieser solle seine wechselhafte SPD-Karriere öffentlich machen, meinte Eggert. „Wer so fordernd auftritt, kann sich keinen geschönten Lebenslauf leisten.“ CDU-Generalsekretär Kretschmer wiederholte seine Kritik an Westdeutschen wie Nolle, die „über das Leben der DDR-Bürger richten“. Dem widersprach der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Tiefensee (SPD). Es gehe nicht in erster Linie um eine Ost-West-Debatte, so der ehemalige Bausoldat und Oberbürgermeister von Leipzig. Auch Ostdeutsche sähen den Umgang mancher Christdemokraten mit der Block-Vergangenheit kritisch.
Von JÜRGEN KOCHINKE