Karl Nolle, MdL
Neues Deutschland ND, 29.11.08, 01.12.2008
CDU-Parteitag: Ein dreifach Hoch auf die Parteitagsregie
Christdemokraten wollen in Stuttgart die Weichen für die Bundestagswahl 2009 stellen
Dass der am Sonntagabend beginnende 22. CDU-Parteitag zu großem Streit führen wird, steht nicht zu fürchten. Schließlich wollen die 1001 Delegierten auf dem Stuttgarter Messegelände die Weichen für die Bundestagswahl 2009 stellen. Somit dürften auch die Zeichen für die vierte Wiederwahl der Kanzlerin zur CDU-Chefin trotz manchen Grummelns günstig stehen.
Die Einladung für das Spektakel spricht Bände. Angela Merkel listete all die Wohltaten auf, die das segensreiche Wirken der Christdemokraten nach drei Jahren Verantwortung in der Bundesregierung übers Land gebracht hat: weniger Arbeitslosigkeit, mehr Ausbildungsplätze, Investitionen in Bildung und Forschung, Besserstellung von Familien, gestärktes Ansehen in Europa und der Welt. Kurz: Die Bilanz ist gut, der Weg ist richtig. Vorwärts ins zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts – mit der CDU an der Spitze!
Dass insbesondere in jüngster Krisenzeit in der Union wie auch innerhalb der CDU mancherlei Unmut über das Management der Kanzlerin und deren Verzögerungstaktik bei Steuererleichterungen – die nun erst direkt im Wahljahr vermutlich für gut Wetter sorgen sollen – entstanden ist, wird die Parteitagsstimmung vermutlich wenig trüben. Vielmehr zeigen Merkels Parteifreunde mit dem Finger auf andere – und fordern von der Wirtschaft Rückbesinnung auf alte Werte. »Wir brauchen eine Renaissance des Leitbildes des ›ehrbaren Kaufmanns‹«, heißt es im Leitantrag der CDU-Spitze für den Parteitag.
Rückbesinnung von anderen einzufordern, fällt der CDU ziemlich leicht. Bei der eigenen Vergangenheitsbewältigung tun sich die Christdemokraten deutlich schwerer. Das zeigte sich, als die ersten Passagen des Parteitagsantrages zu den Perspektiven für Ostdeutschland bekannt wurden – und sich erhebliche Erinnerungslücken über die Rolle der CDU als Blockpartei in der DDR offenbarten. Während man insbesondere die LINKE als ewiggestrige und geschichtsklitternde DDR-Erbin ausmachte, wurde der Versuch der Bewertung der eigenen Parteiengeschichte gar nicht erst unternommen. Eine heftige Diskussion entbrannte und flaute erst wieder ab, als CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla Ergänzung versprach.
Dass nun nur Tage vor Parteitagsbeginn das Thema erneut hochköchelte, lag an Sachsens CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Dem waren offenbar Details aus seiner Biografie vor der Einheit nicht mehr ganz momentan und so musste er erst vom berühmten sächsischen »Aufklärer« Karl Nolle von der SPD, daran erinnert werden, dass sein politisches Leben in der DDR-CDU nicht nur aus einem Nischendasein bestand.
Das unterscheidet Tillich zwar wenig von seiner Parteichefin oder dem Amtskollegen aus Thüringen – nur schien die »Enthüllung« über seine Tätigkeit im Rat des Kreises und den Besuch einer »Kaderschmiede« geeignet, in der CDU erneut die Glaubwürdigkeitsfrage zu stellen. Ob die mit der jetzt gefundenen Formel, dass die CDU »im totalitären System der DDR-Diktatur« mitgewirkt habe, beantwortet ist, darf bezweifelt werden. Vielleicht sind mit derlei martialischer Begrifflichkeit Marianne Birthler und Hubertus Knabe zufriedenzustellen, die sich im Vorfeld sehr kritisch zu den CDU-Gedächtnislücken geäußert hatten. Einspruch kommt dafür von anderer Seite (siehe Randspalte) – was für die Kanzlerin angesichts der Prognose, dass 2009 die Wahlen für die CDU vor allem im Osten gewonnen oder verloren werden, nicht ganz unerheblich sein dürfte.
Aber für die CDU-Chefin wird es zunächst interessant werden, wie sich die vermeintlich starken Männer ihrer Partei in Stuttgart präsentieren. Ihre drei Vizes waren bislang immer für eine Überraschung gut. Roland Koch, der bislang nur amtierende Ministerpräsident, der nach dem Debakel der Hessen-SPD wieder Oberwasser gewonnen hat. Jürgen Rüttgers, der mit seinen Auslassungen zu einer Rente oberhalb der Armutsgrenze weiter am Bild des Arbeiterführers zu basteln gedenkt. Und Christian Wulff, der in jüngster Zeit vorrangig mit dem Abschicken kleiner giftiger Pfeile in Richtung CDU-Zentrale beschäftigt war.
Der stärkste Gegenwind hätte Merkel vom Chef der kleinen Schwester CSU gedroht. Aber Horst Seehofer kommt wegen des Desasters der BayernLB nun doch nicht, um mit wohlgesetzten Worten der Kanzlerin wegen der mangelnden Solidarität im Bayern-Wahlkampf noch mal einen einzuschenken. So kann durchaus geschehen, dass Philipp Mißfelder der Star des Parteitages wird. Den 29-Jährigen, der einst den Alten die Hüftoperation nicht mehr gönnen wollte, soll ausgerechnet die Senioren-Union fürs CDU-Präsidium als Beleg für den Zusammenhalt der Generationen vorgeschlagen haben. Ein dreifach Hoch auf die Parteitagsregie.
Von Gabriele Oertel