Karl Nolle, MdL
Lausitzer Rundschau, 30.04.2001
Der letzte Zug des Königs
König Kurt ist jetzt am Zug, zum letzten Mal nach bislang 3832 Tagen an der Macht
Für Sachsens CDU ist der Abschied von Kurt Biedenkopf längst vollzogen. Das Königreich der Wettiner bestand 111 Jahre und elf Monate. Dann machten die Sachsen "ihren Dreck alleene".
Die Regentschaft von König Kurt über den Freistaat steht im elften Jahr und der einstige Meister des politischen Winkelzuges ist im Zuge schleichender Selbstdemontage zur bloßen Schachfigur im sächsischen Spiel um Macht und Posten geworden.
Zehn Jahre lang galt der ehemalige Geschäftsführer des Düsseldorfer Waschmittelkonzerns Henkel als Saubermann. Kam Altbundeskanzler Helmut Kohl selbst in der Vereinigungseuphorie nur auf 44 Prozent Zustimmung in Sachsen, schaffte König Kurt locker 77.
Selbst schwierige Personalrochaden wie die umstrittenen Ablösungen der Minister Heinz Eggert und Steffen Heitmann schadeten kaum mehr als wohlkalkulierte Bauernopfer. Und auch die Entlassung seines langjährigen Weggefährten und CDU-Hoffnungsträger Georg Milbradt hätte Biedenkopf eigentlich nicht in eine wirklich schwierige Lage gebracht. Wenn, ja wenn sich der Ministerpräsident nicht zugleich gegen eine Reglung seiner Nachfolge gesperrt hätte.
Das Kohl-Syndrom Dabei ist das ungewohnte Zögern des sonst so erfolgreichen Taktierers Biedenkopf durchaus verständlich. Schon zweimal wurden aus seiner Sicht Hoffnungsträger der sächsischen CDU "verbrannt", weil sie zu zeitig für Ämter diskutiert wurden. Zuerst Steffen Heitmann mit seiner unglücklichen Bewerbung als Bundespräsident, dann Fritz Hähle mit seinem glücklosen Versuch, sich über den Landes- und Fraktionsvorsitz als Biedenkopf-Nachfolger zu profilieren.
Angreifbar geworden Allerdings unterschätzte der Ministerpräsident wohl die Angst der erfolgsverwöhnten Landes-CDU vor einem Wahldesaster wie es Helmut Kohl 1999 erlebte. Folge: Erstmals verweigert die "königstreue" Basis Kurt I. die Gefolgschaft, nur noch 16 der insgesamt 27 sächsischen Kreisverbände stellten sich öffentlich hinter den Ministerpräsidenten.
Noch offensichtlicher wurde der Machtverlust Biedenkopfs durch die gezielten Indiskretionen aus den Chefetagen der verschiedensten Ministerien. Kamen der Paunsdorf-Untersuchungsausschuss und die parlamentarische Anfrage zur Verfassungsmäßigkeit eines Bürgerbüros der Ehefrau des Ministerpräsidenten noch durch Initiativen der Opposition im Landtag zustande, basierte die "Putzfrauen-Affäre" über die Wohnverhältnisse des Ehepaares Biedenkopf im Gästehaus der Staatsregierung auf internem Material der Staatskanzlei. Doch nicht nur, dass Details über die preiswerte Unterkunft in der Schevenstraße 1 in die Öffentlichkeit gelangten, zeigt wie sehr CDU-Kreise den einstigen Spielführer unter Druck setzen (lassen). Wurde die Tatsache, dass sich der als außergewöhnlich klug geltende Biedenkopf seine Anregungen unter anderem bei international anerkannten Wissenschaftlern holt, 1994 noch vom Leipziger Polit-Professor Christian Fenner als Vorzug des Ministerpräsidenten herausgestellt, gerät dieser jetzt wegen seiner häufigen Auslandsreisen (so wie zur Trilateralen Kommission nach London, einem weltweiten Denkergremium, dessen Mitglied der 71-Jährige ist) in die Kritik.
Zwölfmal reiste Biedenkopf vergangenes Jahr dienstlich ins Ausland. Sein Brandenburger Amtskollege Manfred Stolpe brachte es in der gleichen Zeit nur auf acht, die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis, schaffte gerade mal drei Auslandsausflüge.
33 Tage woanders 33 Tage blib das Büro des sächsischen Ministerpräsidenten im vergangenen Jahr wegen Dienstreisen verwaist. 2001 war König Kurt bereits in England, den Niederlanden, Polen und in der Schweiz. Am Samstag kehrte der Ministerpräsident von einer mehrtägigen USA-Reise zurück. Dass die milliardenschwere Ansiedlung von AMD in Dresden fast ausschließlich durch die guten Amerika-Kontakte des Ehepaares Biedenkopf zustande kam, hilft dem Reise-König heute, anders als in den Jahren zuvor, nicht aus der Bedrängnis.
Spätestens als die CDU-Basis mit tatkräftiger Unterstützung von Landes-Vize Heinz Eggert die Vorverlegung des Landesparteitages durchsetzte, war die Botschaft klar: Schach dem König. Unklar ist allerdings noch, wer es wirklich wagt, den Königsmörder zu geben. Und deshalb steigen die Chancen, dass sich der alte Mann mit einem Remis vom politischen Brett verabschiedet.
"Junge Wilde" kommen Während der Landesvater in Übersee politische Kontakte pflegte, fand sich im heimatlichen Meißen eine sechsköpfige Ministerriege zusammen. Offiziell starteten Thomas de Maiziére, Stanislaw Tillich, Manfred Kolbe, Matthias Rößler, Steffen Flath und Georg Brüggen "nur" den CDU-Kommunalwahl-Kampf. Inoffiziell machten sie aber gleichzeitig Front gegen ihren Ex-Kollegen Georg Milbradt. Die "jungen Wilden" (alle sechs sind unter 50 und gehören damit in der altsächsischen Führungsriege eher zum Nachwuchs) könnten durchaus den Biedenkopf-Kritiker als dessen Nachfolger verhindern.
Allerdings fordern sie dafür einen frühstmöglichen Abtritt des Ministerpräsidenten ein Spiel, das in Sachsen bislang nur einer glänzend beherrschte und auch nur selbst spielen durfte: König Kurt. Und der ist jetzt am Zug zum letzten Mal nach bislang 3832 Tagen an der Macht.
(Von DIETER SCHULZ)