Karl Nolle, MdL

Die Zeit , Nr. 48, 26.11.2008

DDR-Vergangenheit: Historischer Bumerang trifft die CDU

Eine scharfe Auseinandersetzung mit der Linkspartei wollte die CDU über deren DDR-Erbe führen. Nun muss sie sich mit ihrer eigenen Geschichte befassen
 
Die Linkspartei wird immer stärker - und die CDU wird nervös. Denn gerade im nächsten Jahr könnten die Linken der Union im Osten Deutschlands gefährlich werden. Also muss man dem Volk sagen, mit wem man es da zu tun hat, mögen sich die Schreiber eines Grundsatzpapiers gedacht haben, mit dem sie auf dem Parteitag am Wochenende nochmals die Wurzeln der Linken offenlegen wollen.

Die Linke, so steht dort geschrieben, ist "die direkte Nachfolgerin der für Unterdrückung und Bespitzelung verantwortlichen SED" und sie "propagiert ein Geschichtsbild, das die DDR als sozialpolitisches Großexperiment und nicht als menschenverachtendes totalitäres System zeichnet". Der SPD wiederum werfen die Autoren vor, mit der Linkspartei "damals wie heute" gemeinsame Sache zu machen.

Dann werden all die Ereignisse und Fakten aufgezählt, von denen die CDU befürchtet, sie seien den Ostdeutschen nicht mehr ausreichend gegenwärtig: die Niederschlagung des Aufstands am 17. Juni 1953, der Mauerbau 1961, die mehr als 950 Mauertoten und das Versagen der Planwirtschaft.

Ein starker Wurf also. Doch was als Munition im Dauerwahlkampf des kommenden Jahres gedacht war, wendet sich gegen die Union selbst. Sie sieht sich plötzlich mit dieser Frage konfrontiert: Wie steht es eigentlich um ihr eigenes Geschichtsbild und wie ist ihr Anteil am Herrschaftssystem der DDR zu bewerten?

Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich zumindest hat, nachdem am Wochenende Details seiner politischen Karriere in der DDR bekannt wurden, seine anfänglichen Erinnerungslücken mittlerweile geschlossen und sich zu einigen offenen Sätzen aufgerafft. Die Blockpartei CDU sei "Teil des Systems" gewesen und habe damit letztlich den Machtapparat der SED unterstützt.

Tillich hatte im Frühjahr 1989 an einem Lehrgang für angehende Führungskräfte in der DDR teilgenommen und in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender im Rat des Kreises Kamenz mindestens zweimal Kontakt zur Staatssicherheit gehabt. Für einen Mann, der in der DDR "aus seinem Leben etwas machen wollte", sind das keine besonders schwerwiegenden Vorwürfe. Und es stimmt ja, wenigstens zum Teil: Wäre Tillich ein skrupelloser Karrierist gewesen, wäre er zweifelsohne sofort in die SED eingetreten.

Wer Mitglied der Ost-CDU war, drückte damit tatsächlich eine gewisse Distanz zum Herrschaftsapparat der SED aus. In der Opposition war er deswegen noch lange nicht. Bürgerrechtler wie die heutige Vorsitzende der Stasi-Unterlagen-Behörde Marianne Birthler können sich über derlei Deutungsversuche ohnehin nur wundern. "Wir haben niemals das Gefühl gehabt, dass die CDU-Mitglieder Leute sind, die an unserer Seite stehen." Die Ost-CDU habe die SED gestützt, "das war auch ihr Selbstverständnis".

Tillich, aber auch der CDU im Allgemeinen ist vor allem die verdruckste Art vorzuwerfen, mit der sie mit dem Thema umgehen. Das weckt den Anschein, dass die der Linkspartei vorgeworfene Schönfärberei der Geschichte bei den Christdemokraten nicht weniger ausgeprägt ist.

Noch im September enthielt das Grundsatzpapier für den Parteitag keinen einzigen Hinweis darauf, dass auch die CDU in die DDR-Vergangenheit verstrickt ist. Erst, nachdem daran deutliche Kritik geübt wurde, soll nun der Satz eingefügt werden, dass "die CDU in der DDR im totalitären System der DDR mitgewirkt" habe.

Doch selbst diese schlichte Tatsachenbeschreibung geht manchem ostdeutschen Parteimitglied zu weit. Die Bundestagsabgeordnete Maria Michalk beispielsweise sagte dem Spiegel, die Kritik könne sich höchstens auf "einzelne Verantwortliche" beziehen. Nach Ansicht des Vorsitzenden der sächsischen Landesgruppe der Union im Bundestag, Michael Luther, ist ausschließlich die SED an dem in der DDR geschehenen Unrecht schuld.

Solche Äußerungen machen deutlich, dass die CDU mit ihrer Vergangenheit noch lange nicht abgeschlossen hat. Allerdings muss man wohl davon ausgehen, dass zumindest der historische Teil des CDU-Papiers nach dem Parteitag ziemlich tief in den Schubladen verschwinden wird. Die Lust auf eine Neuauflage der Rote-Socken-Kampagne dürfte der Union vorerst vergangen sein.
Von Katharina Schuler