Karl Nolle, MdL
Junge Welt (jw), Berlin, 22.12.2008
»Rechtsstaat steht auf dünnen Beinen«
Landtagsabgeordneter übt scharfe Kritik an Justiz: Einschüchterungsversuche und rechtswidriges Handeln. Ein Gespräch mit Karl Nolle: "...keine Arbeit für Leisetreter"
Sie haben am Freitag Strafanzeige gegen Unbekannt wegen der Verfolgung Unschuldiger und der Behinderung eines Verfassungsorgans gestellt. Was sind die genauen Hintergründe Ihrer Strafanzeige?
Der Untersuchungsausschuß »Sachsensumpf« hat am 17. Dezember den Leipziger Kriminalhauptkommissar Georg Wehling als Zeuge vernommen. Die Vernehmung wurde nach sieben Stunden unterbrochen und vertagt.
Georg Wehling sagte sehr couragiert aus, obwohl er durch diverse gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren, die den offensichtlichen Zweck verfolgen, ihn als Zeugen mürbe zu machen, enormem Druck ausgesetzt ist. Er ließ sich auch nicht von inzwischen anhängigen Disziplinarverfahren seines Dienstherren, inklusive vorläufiger Dienstenthebung, daran hindern, umfänglich auszusagen. Seine Aussagen wurden von anderen Zeugen gestützt.
Jetzt ist die Legende der Staatsregierung vom durchgeknallten Kommissar als Urheber einer Märchensammlung zum Korruptionssumpf in Sachsen wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Diese Blamage ist der Grund für den Rechtsbruch der Staatsanwaltschaft, mit einem erneuten Ermittlungsverfahren, jetzt wegen Falschaussage, den mißliebigen Zeugen zu verleumden, auszuschalten und die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu torpedieren.
Ist es nicht ungewöhnlich, daß die Dresdner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungserfahren einleitet, bevor die Aussage vor dem Untersuchungsausschuß beendet war?
Eine Stunde nach Vorliegen meiner Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft und der Presse wurde das Verfahren »Bananenrepublik gegen Wehling« eingestellt, und man gestand öffentlich den Rechtsirrtum ein. Dieser plumpe Versuch der Einschüchterung war eindeutig rechtswidrig. Die beiden verantwortlichen Staatsanwälte haben sich als juristische Versager entpuppt. Sie sind auf ihrer eigenen Schleimspur zum Justizministerium ausgerutscht. Ihr vorauseilender Gehorsam mit Schaum vor dem Mund führte zu einem bombigen Schuß in den Ofen.
Das war aber doch offensichtlich nicht der erste Rechtsbruch. Wollte man nicht schon mal einen Staatsanwalt der Sonderermittlungseinheit zur Korruptionsbekämpfung und einen Journalisten fertigmachen, weil sie sich um Vorwürfe gegen den verstorbenen Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) kümmerten?
Die vom Oberlandesgericht Dresden höchstrichterlich in der Sache festgestellte rechtswidrige Ausschnüffelung von Telefonverbindungsdaten bei Journalisten und Staatsanwälten – man beabsichtigte, dies übrigens bei 4o Polizisten und Staatsanwälten zu tun – geht auch auf das Versagerkonto eines dieser beiden für den Wehling-Rohrkrepierer verantwortlichen Spitzenjuristen. Dieser hatte die Telefondatenschnüffelei mit dem stets »arglosen« sächsischen Justizminister abgestimmt. Mit Dank für Rechtsbruch, Linientreue und Beförderung zum Oberstaatsanwalt ließ Justizminister Geert Mackenroth (CDU) nicht lange auf sich warten. So erhält das Wort von der schwarzen Familienbande einen völlig neuen Klang und riecht streng.
Täuscht der Eindruck, daß seit geraumer Zeit versucht wird, die wirklichen Aufklärer des »Sachsensumpfes« zu diskreditieren und so unglaubwürdig erscheinen zu lassen?
Nachdem Innenminister Albrecht Buttolo den Sumpf der Organisierten Kriminalität zunächst mit zitternder Stimme vor dem Landtag einräumte und die Sache medial aus dem Ruder lief, spielte man fleißig auf der Leier der Desinformation und erklärte die 16 000 Seiten umfassenden Akten des Verfassungsschutzes zu einer Märchensammlung des Kriminalisten Wehling und der Referatsleiterin im Landesamt für Verfassungsschutz Simone H. Die CDU erklärte die Akten zur geheimen Kommandosache und versuchte, mit verfassungswidriger Blockade ein Jahr lang den Ausschuß zu torpedieren. Dafür gab es dann Ende August 2008 eine Superklatsche vom Verfassungsgericht.
Sie haben gefordert, »die Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft von der Politik zu beenden«. Existiert in Sachsen überhaupt noch eine unabhängige Justiz?
Nur da, wo es couragierte Richter und Staatsanwälte gibt. Die seit i8 Jahren schwarz verfilzte Personalpolitik bei Justiz und Polizei hat dazu geführt, daß oft Loyalität und Gehorsam – manchmal auch Erpreßbarkeit – wichtiger als Qualifikation sind. Vom vorauseilenden Gehorsam abgesehen heißt es: »Wer befördert, befiehlt«. Zahlreiche rechtswidrige Einflußnahmen der Politik auf Ermittlungen, Beförderungen, Verfahren, sogar Verjährungsfragen sind inzwischen aktenkundig. Das heißt dann »dialogorientierter Führungsstil«. Gegenüber den Verhältnissen hier in Sachsen ist Bayern ein Hort des Liberalismus.
Ihre Fraktion, die in Sachsen gemeinsam mit der CDU die Landesregierung stellt, ist nicht immer begeistert über Ihre Aktivitäten. Erhalten Sie von ihr Rückhalt?
Ich mache die Arbeit nicht, um zu gefallen, sondern weil der Rechtsstaat gerade in Sachsen auf sehr dünnen Beinen steht. Dafür kriege ich viel Zuspruch. Aber es ist keine Arbeit für Leisetreter.
Interview: Markus Bernhardt
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Karl Nolle (SPD) ist Mitglied des sächsischen Landtages und Obmann seiner
Partei im Untersuchungsausschuß zum sogenannten Sachsensumpf.