Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland ND, 02.12.2008

Nicht schwarz, nicht weiß

Im Fall Tillich versucht die sächsische SPD eine Gratwanderung
 
Ein SPD-Mann hat dafür gesorgt, dass bundesweit die Biografie von Sachsens CDU-Regierungschef erörtert wird. Seine Partei ist darüber nur bedingt glücklich – und versucht nun, Kritik an Blockflöten zu üben, ohne allzu viele Ostdeutsche zu verprellen.

Karl Nolle muss viel einstecken in diesen Tagen. Der Druckereibesitzer und SPD-Landtagsabgeordnete hat ein Buch mit 100 DDR-Biografien sächsischer Politiker verfasst, darunter Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der ab 1987 in der Ost-CDU Karriere machte. Die Publikation soll daran erinnern, dass die CDU, anders als von ihr selbst gern dargestellt, ein DDR-Vorleben hatte, das beileibe nicht nur in Oppositionsgruppen stattfand.

Für die CDU, die gern PDS und LINKER die alleinige Verantwortung für die DDR aufbürdet, ist die Debatte über ihre Rolle an der Seite der SED sehr unbequem, weshalb sie deren Zielrichtung absichtlich missversteht und in eine Kampagne eines ahnungslosen Westdeutschen gegen Ostdeutsche umdeutet: Man dürfe nicht »Handlungsweisen der DDR-Bevölkerung generell und grundlegend stigmatisieren«, heißt es in einem Ton, der nicht nur den Sachsen neu vorkommt, die für Anstellungen im öffentlichen Dienst hochnotpeinliche Fragen zu ihrer DDR-Vergangenheit beantworten mussten.

Karl Nolle dagegen sieht sich als Querulant aus dem Westen gebrandmarkt; seine Herkunft aus Hannover wird auffallend häufig betont. Der SPD-Mann, der seit 18 Jahren in Dresden lebt, kontert kühl: Die Geschichte der Griechen müsse ja auch nicht von den Griechen selbst geschrieben werden.

Freilich: Die Sorge, die von Nolle entfachte Debatte könne viele Ostdeutsche verprellen und gegen die Partei insgesamt aufbringen, treibt auch die SPD um. Angesichts dessen veröffentlichte nun Fraktionschef Martin Dulig ein Papier, in dem er eine heikle Gratwanderung unternimmt. Einerseits betont der 34-Jährige, der aus einer kirchlichen Familie stammt, in der DDR hätten sich die Bürger ständig zwischen Anpassung und Verweigerung entscheiden müssen: »Niemand, der nicht in der DDR gelebt hat, kann sich ein realistisches Bild davon machen, wie schwer das war« – ein alles andere als dezenter Seitenhieb gegen Nolle, der gelegentlich zu recht pauschalen Bewertungen neigt. Die seien aber unangebracht, so Dulig: »Es gab viel Grau in der DDR, nur sehr selten Schwarz oder Weiß«.

Scharf ins Gebet nimmt Dulig aber auch solche CDU-Funktionäre, die ihrer DDR-Vergangenheit einen fahlgrauen Anstrich verpassen, wo bei SED-Mitgliedern stets zu Anthrazit gegriffen wird. Die Blockparteien seien »mit Sicherheit Sammelbecken von Mitläufern« gewesen. Die Mitgliedschaft müsse zwar differenziert betrachtet werden, schreibt Dulig. Zu fragen sei aber, ob jemand einfaches Mitglied war oder »Karriere gemacht und politische Verantwortung im DDR-Regime übernommen habe«. Dieser Passus muss als Attacke auf Tillich verstanden werden, der ab 1987 zielstrebig zum Stellvertreter im Rat des Kreises Kamenz aufgebaut wurde. Allerdings, fügt Dulig an, habe sich »mancher kleine Täter oder Mitläufer« seit 1989 auch Verdienste um den Aufbau von Land und Demokratie erworben, was anzuerkennen sei. Auch das gilt freilich nicht nur für Tillich.
Von Hendrik Lasch, Dresden