Karl Nolle, MdL

Agenturen, dpa/sn, 17.24 Uhr, 26.01.2009

Zeugin: Material in Aktenaffäre nicht gefälscht - Vorwürfe

 
Dresden (dpa/sn) - Die Geheimdienstakten zur Organisierten Kriminalität (OK) in Sachsen waren nach Aussage der zuständigen Referatsleiterin weder manipuliert noch gefälscht. Damit steht die 49-Jährige im Widerspruch zur offiziellen Darstellung der Regierung. Bei ihrer Vernehmung im Untersuchungsausschuss des Landtages zur Aktenaffäre erhob die Juristin am Montag zugleich schwere Vorwürfe gegen die heutige Spitze des Landesamtes für Verfassungsschutz und gegen Staatsanwälte.

Der Ausschuss befasst sich mit einer umstrittenen Datensammlung des Geheimdienstes. Sie diente 2007 als Beleg für die Existenz krimineller Netzwerke in Sachsen, in die angeblich auch Juristen und Polizisten eingebunden waren. Nach Einschätzung externer Prüfer waren die Akten beim Verfassungsschutz aber aufgebauscht worden. Dafür wurde die Ex-Referatsleiterin verantwortlich gemacht. Die Prüfer hatten nach eigenem Bekunden allerdings nur einen von zehn Mitarbeitern des OK-Referates befragt. Das löste damals Befremden aus. Auch nach der Vernehmung eines Polizisten tauchten zuletzt wieder Zweifel an der offiziellen Lesart in der Affäre auf.

Bei der Befragung im U-Ausschuss wehrte sich die 49-Jährige gegen die These, wonach sie «von blindem Jagdeifer getrieben» Akten aufgebauscht habe. Das OK-Referat im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) habe weder ein unkontrolliertes Eigenleben entfaltet, noch das 4-Augen-Prinzip verletzt. Die Mitarbeiter seien zudem ausreichend für die Arbeit qualifiziert gewesen. «Es gab zu keiner Zeit die Schaffung einer Parallel-Aktenwelt», sagte die Zeugin. Hinweise zur Szene in Leipzig seien von neun verschiedenen Quellen gekommen. Sie stützte ihre Aussagen immer wieder auf Aktenvermerke und benannte wegen der Geheimhaltung in verschlüsselter Form Zeugen für ihre Angaben.

Nach eigenen Aussagen hat die Zeugin den Vizechef des LfV, Olaf Vahrenhold, im Mai 2007 darauf aufmerksam gemacht, dass Akten aus zwei Fallkomplexen verschwunden waren. Schwere Vorwürfe erhob sie auch gegen den späteren LfV-Präsidenten Reinhard Boos. Obwohl sie wegen einer später diagnostizierten Hirnhautentzündung nicht vernehmungsfähig war und von Rettungssanitätern in die Uni-Klinik gebracht werden sollte, habe Boos sie im Beisein von Vahrenhold am 3. Juli 2007 eine Stunde lang in einem Ruheraum des LfV bedrängt und Auskunft über ein Leck in der Behörde begehrt. Danach habe Boos noch im Beisein der Sanitäter ein Disziplinarverfahren gegen sie eröffnet, worüber er zuvor bereits die Öffentlichkeit informierte.

Die nachfolgenden Monate schilderte sie als «gnadenlose Hexenjagd». Bis zum heutigen Tag bleibe ihr ein Einblick in den Abschlussbericht der externen Prüfer verwehrt. Ihre Ernennung als Regierungsdirektorin sei mit Verweis auf ihren Diplomabschluss aus DDR-Zeiten wieder rückgängig gemacht worden. Die Staatsanwaltschaft habe bei Ermittlungsverfahren gegen sie wegen Geheimnisverrat und anderer Straftaten ihre Verteidigungsrechte eingeschränkt und zudem ihre Identität in Vernehmungen von Kriminellen preisgegeben.

SPD-Politiker Karl Nolle sah in der Aussage einen Beleg dafür, dass die Justiz in Sachsen politischer Einflussnahme ausgesetzt ist. Für die FDP war klar, dass die Affäre «nicht nur das Hirngespinst einer übereifrigen Referatsleiterin» und eines Polizisten ist. Offenkundig seien Vorgänge in der Affäre vom Innenministerium systematisch vertuscht worden. «Jetzt geraten zunehmend die Spitzen des Landesamtes und des Innenministeriums in das Blickfeld des Ausschusses», sagte FDP-Obmann Jürgen Martens.

Nach Einschätzung von CDU-Obmann Christian Piwarz hat die Zeugin Schuld zwar von sich gewiesen, aber «in der Sache nichts gesagt». Statt einer konkreten Gegendarstellung habe sie Boos und Vahrenhold Verfehlungen vorgeworfen, die nur durch eine Vernehmung beider aufzuklären sind. «An der Haltlosigkeit der Gerüchte zum Sachsensumpf ändern die gegenseitigen Schuldzuweisungen allerdings nichts», sagte Piwarz.

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261724 Jan 09


Linksfraktion: Legende in Luft aufgelöst=

Die Legende von Regierung und politisch weisungsgebundener Staatsanwaltschaft, es handele sich nur um Hirngespinste einer übereifrigen Verfassungsschützerin, habe sich in Luft aufgelöst, sagte die Obfrau der Linksfraktion im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, Caren Lay, in einer Mitteilung. Die Linksfraktion forderte die Suspendierung des damals amtierenden Verfassungsschutz-Chefs Vahrenhold bis zur vollständigen Aufklärung der Vorwürfe. Zugleich müssten die Vorwürfe gegen den derzeitigen Verfassungsschutzpräsidenten Boos aufgeklärt werden, er habe in sechs Fällen Leib und Leben von «Quellen» des Verfassungsschutzes durch Weitergabe von Klarnamen gefährdet.

dpa gj yysn n1 ev
261741 Jan 09