Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland ND, 27.01.2009

Klagen in der dritten Person

Sachsen-Sumpf: Ex-Referatsleiterin wirft Politik »Hexenjagd« vor
 
Die Ex-Leiterin des OK-Referats beim sächsischen Verfassungsschutz weist Vorwürfe zurück, sie habe Dossiers zum »Sachsen-Sumpf« aufgebauscht. Sie habe sauber gearbeitet und sieht sich als Opfer einer »Hexenjagd«.
Man solle sie bitte nicht für verrückt halten, sagt Simone H., aber über das, was ihr seit Juli 2006 widerfahre, könne sie nur in der dritten Person sprechen. »Simone H.«, sagt sie also, »verspürte Todesangst.« Das war am Tag, als sie von der fähigen Chefin des OK-Referats zur Hauptschuldigen für den Sachsen-Sumpf mutierte.

Lebensfremde Ein-Frau-These

H., die gestern vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags in Dresden aussagte, leitete drei Jahre lang das Referat beim sächsischen Geheimdienst, in dem brisante Dossiers zur vermeintlichen Verflechtung von Organisierter Kriminalität und Politik entstanden – mit Wissen der Hausspitze, betont die Beamtin. Die spätere Behauptung, sie habe Fakten aufgeblasen und verfälscht, nennt sie eine »lebensfremde Ein-Frau-These«. Ihr Referat habe »kein nahezu unkontrollierbares Eigenleben entwickelt«. Bei der umstrittenen Sammlung, in der Vorwürfe wie Amtsmissbrauch, Kinderprostitution und Bandenkriminalität erhoben werden, handle es sich auch um »keine Parallelaktenwelt«.

Die Vorgesetzten hätten das gewusst. Mit dem Behördenleiter gab es einen »ständigen Informationskontakt«; Ex-Innenminister Thomas de Maizière (CDU) habe wegen der Schwere der Anschuldigungen entschieden, die Verdächtigungen weiter zu verfolgen, obwohl das Verfassungsgericht dem Geheimdienst die OK-Zusändigkeit abgesprochen hatte. Justizminister Geert Mackenroth (CDU) sei im Juni 2006 informiert worden

Im Sommer 2006, nachdem der Sachsen-Sumpf bundesweit in die Medien geschwappt war, wurde H. indes offenbar fallen gelassen. Gerade noch hatte ihr Innenminister Albrecht Buttolo den »Dank des Freistaats« für engagierte Arbeit ausgesprochen; plötzlich galt sie als durchgeknallte Ex-Staatsanwältin mit wiederentdeckter DDR-Vergangenheit, deren Ernennung zur Regierungsdirektorin man unter Verweis darauf widerrief.

Schlimmer noch: Weil man in H. das »Leck« im Landesamt vermutete, das die Medien über den Sumpf informierte, wurde ein Disziplinarverfahren eröffnet – in dem Moment, da sie wegen einer akuten Hirnhautentzündung auf ihren Transport ins Krankenhaus gewartet habe. Da, sagt sie, hatte sie Todesangst.

Aussage gegen den Rat des Arztes

Später sei sie, obwohl von Ärzten als nicht verhandlungsfähig eingestuft, immer wieder zu Aussagen genötigt worden. H., die inzwischen als schwerbehindert gilt und gestern vor dem Ausschuss »entgegen ausdrücklichem medizinischem Rat« erschien, dort aber eine durchdachte Aussage vortrug, spricht daher von einer »gnadenlosen Hexenjagd«: Es sollte, sagt sie, »eine Hexe verbrannt werden – erstmals wieder seit 1755«.
Von Hendrik Lasch, Dresden