Karl Nolle, MdL
LVZ Leipziger Volkszeitung, 27.01.2009
Aktenaffäre: Zeugin sieht sich als Opfer einer Hexenjagd
Dresden. Es war eine Vernehmung der besonderen Art. Gestern trat mit Simone Henneck die Zentralfigur in der Aktenaffäre erstmals im U-Ausschuss auf. Und was die ehemalige Chefin des Referats Organisierte Kriminalität (OK) beim Verfassungsschutz zu berichten hatte, war schwere Kost. Sagenhafte vier Stunden referierte die 49-Jährige, arbeitete, immer mal wieder durch kurze Pausen unterbrochen, 32 Einzelpunkte ab. Vor allem der Inhalt aber hatte es in sich. Die Botschaft von Henneck lautete: Sie sieht sich als „Opfer einer von langer Hand vorbereiteten Intrige aus Staatsräson“ – Denunziation und offene Lügen inklusive.
Im Kern geht es um die regierungsamtliche These, das OK-Referat habe sich unter Henneck komplett verselbstständigt, habe Akten aufgebauscht und elementare Regeln missachtet. Dem widersprach die so Brüskierte gestern vehement. „Es gab zu keiner Zeit die Schaffung einer Parallel-Aktenwelt“, sagte sie. Unterlegt mit Hinweisen auf Aktenvermerke und ein halbes Dutzend Zeugen bestand sie auf der Lesart, dass sie ihr Vorgehen permanent mit der Hausspitze, vor allem mit Ex-Verfassungsschutzpräsident Rainer Stock, abgestimmt habe. Ja, mehr noch: Stock habe ab 2004 seinerseits regelmäßig das Innenministerium informiert – schriftlich und mündlich. Einige Interna zu Leipziger OK-Komplexen seien auch im Justizministerium bekannt gewesen.
Dabei erhob Henneck schwere Vorwürfe gegen die heutige Spitze des Landesamtes für Verfassungsschutz sowie gegen Staatsanwälte. Diese hätten sie gezielt zur Schuldigen der Affäre erklärt und ohne Rücksicht auf ihren körperlichen und nervlichen Zustand eine Hexenjagd eröffnet. Kurios dabei war, dass die Ex-Staatsanwältin in der zweiten Hälfte der Vernehmung von sich nur noch als Simone H. sprach – in der dritten Person. Anders, betonte sie, könne sie es nicht ertragen.
Dennoch präsentierte Henneck eine Fülle von Fakten, die geeignet sind, etwas Licht ins Halbdunkel der Affäre zu bringen. So habe der heutige Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) in seiner damaligen Funktion als Innenminister 2006 entschieden, an der OK-Beobachtung festzuhalten. Henneck verwies darauf, dass der Leipziger Komplex keineswegs nur auf einer Geheimquelle basierte. Insgesamt habe es mindestens neun Hinweisgeber gegeben.
Jürgen Kochinke