Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 20.02.2009

Michael Kretschmer: "Es gibt keine kollektive Schuld der DDR-Bürger"

 
Pfingsten 1989 bin ich konfirmiert worden. Damals, sechs Monate vor dem Mauerfall, dachte kaum jemand an das Ende der DDR. Ich erinnere mich noch genau, wie meine Großeltern auf dem Weg von meiner Konfirmation nach Hause über die Kommunisten geschimpft haben. Sie waren Vertriebene, die nach 1945 auf der Flucht aus Schlesien in Görlitz hängengeblieben waren. Der Sozialismus war ihnen zeitlebens suspekt, im täglichen Leben haben sie immer wieder erlebt, dass die Planwirtschaft nicht funktionierte. Als meine Großeltern sich für die Konfirmation ihres ältesten Sohnes und damit gegen die Jugendweihe entschieden, erlebten sie eine ungeahnte Drangsalierung – danach war für sie der Stab über die DDR endgültig gebrochen.

Ich selbst empfinde keinen Groll auf das Land, in dem ich geboren wurde. Auch wenn ich die Realität von damals kenne. Die Staatssicherheit war als Machtapparat der SED ein allgegenwärtiges Repressionsinstrument, und die DDR war eine subtile Diktatur. Ich habe allergrößte Achtung vor den Menschen, die den Mut hatten, in der DDR aufzubegehren und dafür persönliche Nachteile und Repressalien in Kauf nahmen. Diese Menschen sind Vorbilder für mich. Auf sie ist unsere Gesellschaft zu Recht stolz, denn es sind diese Aufrechten, die sich nie abgefunden haben mit dem totalitären System.

Gleichzeitig dürfen wir aber nicht zulassen, dass all jene, die weniger mutig waren und versuchten, für sich und ihre Familien ein irgendwie normales Leben zu organisieren, als Duckmäuser, Mitläufer oder sogar Unterstützer dieser Diktatur hingestellt werden. Sie waren es nicht. Wer in die DDR geboren wurde und seine Heimat nicht verlassen wollte, der hatte nur die Wahl zwischen Opposition und dem Versuch, sich zu arrangieren. Es ist absolut weltfremd, zu erwarten, nach dem Mauerbau hätten die Ostdeutschen in ständiger Selbstaufgabe und Verweigerung leben müssen.

Zweite Chance für reuige Täter

Es gab viel Unrecht und es gab viel individuelles Glück in der DDR. Keine Lebensleistung des einfachen DDR-Bürgers war unnütz, auch wenn sie sich nicht auf dem Konto niedergeschlagen hat. Es war nicht vergebens, wenn Arbeiter ihre veralteten Maschinen immer wieder neu in Gang setzten. Ich erinnere mich noch genau, wie die Görlitzer Waggonbauer während unseres „Unterrichts in der Produktion“ 1988 an einer Stanze arbeiteten, auf der das Baujahr 1930 stand.

Deshalb ärgert es mich besonders, wenn Leute, die das Leben in der DDR nie am eigenen Leib erfahren haben, uns ehemalige DDR-Bürger darüber belehren wollen, wie wir uns hätten verhalten sollen. SPD-Leute wie der Niedersachse Karl Nolle und der Baden-Württemberger Dirk Panter kennen die DDR nicht. Sie kamen nach Sachsen als hier längst Freiheit herrschte. Sie mussten sich nie entscheiden. Ich weiß nicht, ob sie die Teilung längst als Normalität akzeptiert hatten. Es war Gerhard Schröder, der noch im Juni 1989 sagte: „Nach vierzig Jahren Bundesrepublik sollte man eine neue Generation in Deutschland nicht über die Chancen einer Wiedervereinigung belügen. Es gibt sie nicht.“

Die Geschichte der DDR eignet sich nicht dafür, parteitaktisch instrumentalisiert und einseitig interpretiert zu werden. Es ist falsch, DDR-Bürger, die einer Organisation wie der FDJ, dem FDGB oder einer Blockpartei angehörten, unter Generalverdacht zu stellen, sie pauschal als Stützen des Systems zu bezeichnen oder sie womöglich sogar mit der Staatssicherheit gleichzusetzen. Die DDR-Geschichte ist komplex, sie eignet sich wirklich nicht für Pauschalurteile nach dem Schema F.

Es gibt keine kollektive Schuld der DDR-Bürger. Schuld ist immer individuell, es gibt Opfer und es gibt Täter. Wenn Täter bereit zu Reue und Einsicht sind, dann ist für mich auch nicht ausgeschlossen, dass ihnen eine zweite Chance gegeben werden kann. Wir alle kennen Fälle, in denen dies bereits geschehen ist. Dem vorausgegangen sind häufig schmerzliche Gespräche und Diskussionen zwischen den Opfern und den Tätern. Voraussetzung war und ist dabei immer, dass sich die Täter bekennen und ihr Unrecht bereuen. Bei Stasi-Spitzeln wie Volker Külow, der für die Linkspartei im Landtag sitzt, ist das nicht der Fall. Sie sind stolz auf ihre Taten. Wir müssen verhindern, dass solche Leute die Geschichte umdeuten und die Opfer von damals verhöhnen.

Die aktuelle Debatte über die DDR-Geschichte kommt allein mit Vorwürfen daher. Diese vergiften das Klima und verhindern eine offene geschichtliche Auseinandersetzung, in der der Einzelne auch Fehler zugeben kann. Zwanzig Jahre danach sind viele Wunden verheilt, die in den Jahren nach der Wende noch offen lagen.

Als die Sächsische Union Anfang der 90er-Jahre auf einem Parteitag beschlossen hatte, ehemalige SED-Mitglieder dürften der CDU nicht beitreten, geschah dies nach einer heftigen Debatte. Nur nach Einzelfallprüfung sollten die CDU-Verbände vor Ort Personen aufnehmen, die sie persönlich kannten.

Ich habe als Generalsekretär schwierige Diskussionen zu diesem Thema erlebt. Ein Bürgermeister, der früher in der SED war und dann von der CDU aufgestellt werden sollte. Ein Bürgermeister, der offen erklärte, was er getan hat, der sich entschuldigte für das, was er falsch gemacht hat. Und ihm versagen wir eine Kandidatur. Ist das richtig? Ich habe gelernt: Es gibt kein allgemeines Raster. Es gibt nur den Einzelfall. Wir brauchen eine Kultur, in der wir offen über unsere DDR-Geschichte reden können, ohne reflexartige Schuldzuweisungen und gegenseitige Vorhaltungen. Das ist ein Beitrag zur Befriedung unserer Gesellschaft.

In Sachsen ist im vergangenen Jahr eine Generation volljährig geworden, die die DDR nie selbst erlebt hat. Gerade diese jungen Leute sind auf Geschichten und Erzählungen aus der DDR-Zeit angewiesen, damit wir alle nie vergessen, welches historische Glück uns mit dem Fall der Mauer und dem Ende der SED-Diktatur widerfahren ist. Das ist die Chance – 20 Jahre danach.
Von Michael Kretschmer

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Anmerkung von Karl Nolle:
Herr Kretschmer erfindet Behauptungen, die er mir in den Mund legt und arbeitet sich dann an seinen eigenen Erfindungen ab. Dabei geht es in der von mir angestoßenen Diskussion überhaupt nicht um die 17 Millionen DDR Bürger und ihr Leben im DDR Regime, dass niemand infrage stellt.
Es geht ausschließlich um das jämmerliche Versteckspiel, das heute damalige Partei- und Staatsfunktionäre der Blockflöten als verläßliche Stützen des Regimes um ihren linientreuen Opportunismus und ihre korrumpierten Karrieren im SED Staat veranstalten. Es geht um die Doppelmoral von Quislingen und Kollaborateuren, die sich heute zum politisch moralischen Gralshüter aufspielen.