Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 24.02.2009

Die CDU hat ihre DDR-Vergangenheit lange versteckt

Sachsens SPD-Generalsekretär Dirk Panter fordert eine offene und ehrliche Auseinandersetzung.
 
Vor kurzem wurde ich gefragt: Schadet Karl Nolle mit der Debatte um die Blockpartei-Vergangenheit der CDU seiner eigenen Partei, der SPD? Was für eine Frage! Ist es besser, den Mund zu halten, wenn man sieht, dass jemand Foul spielt?

Darf also der Wessi Karl Nolle über den Ossi Stanislaw Tillich sprechen? Darf also der Wessi Dirk Panter mit dem Ossi Michael Kretschmer streiten? Wer diese Fragen stellt, der lenkt ab. Denn es geht nicht um die Bewertung der Vergangenheit und es geht auch nicht darum, 17 Millionen DDR-Bürger in Haftung zu nehmen. Worum es geht, ist ein offener und ehrlicher Umgang mit der eigenen Vergangenheit – gerade auch 20 Jahre nach der friedlichen Revolution.

Stanislaw Tillich war zu DDR-Zeiten ein Funktionär der Blockpartei CDU. Und er ist heute Ministerpräsident des Freistaates Sachsen. Das ist so, trotzdem wird nicht gerne darüber gesprochen. Aber nicht nur Tillich, die gesamte CDU hat ihre eigene DDR-Vergangenheit lange versteckt. Gegenüber anderen war sie aber nie zimperlich. Die Sonderkündigung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst wurde in den CDU-regierten Ländern Sachsen und Thüringen besonders rigide verfolgt. Sie traf nicht nur Stasi-Mitarbeiter, sondern auch Krankenschwestern, Physiklehrer, Werksarbeiter. Viele Tausend.

Jeder Mensch hat das Recht auf eine zweite Chance, auch Mitglieder der SED und der Blockparteien. Die Voraussetzung dafür ist, dass man seine Fehler einräumt. Fehler und Versagen sind immer individuell begründet und müssen auch so bewertet werden. Es gibt keine Kollektivschuld. Daher kann es auch keine kollektive Vergebung geben.

Offene Worte – das brauchen wir in der Politik. Hier liegt die Schwäche der CDU. Sie zeigt lieber mit dem Finger auf andere. Im Bundestagswahlkampf 1990 plakatierte die CDU den Spruch „SED-PDS-SPD“. Eine Unverschämtheit, wenn man bedenkt, dass gerade in der SPD doch die Kritik gegenüber der SED-PDS am allerschärfsten war. So rigide, dass man sich im Nachhinein fragte, ob das wirklich sein musste. War es richtig, dass die neugegründete ostdeutsche SPD – damit ein Kind der friedlichen Revolution – den Mitgliedern der SED und ihrer Blockparteien die Aufnahme verweigert hat? Wären wir heute nicht viel größer und schlagkräftiger, wenn wir damals solche Abgrenzungsbeschlüsse nicht getroffen hätten? Mag sein, aber wir wären auch nicht die SPD.

140000 Blockpartei-Mitglieder und 11,2 Millionen Euro Parteivermögen hat die DDR-CDU in die Ehe mit der West-CDU eingebracht. Die Parteibüros in den ostdeutschen Städten bekamen neue Türschilder, aus „Parteisekretären“ wurden über Nacht „Geschäftsführer“. Die Junge Union (JU) erdreistete sich, zur Volkskammerwahl 1990 zu plakatieren: „Wer bei der SED vom Stuhle fällt, wird bei der SPD wieder eingestellt.“ Ob das damalige Görlitzer JU-Mitglied Michael Kretschmer auch eines dieser Plakate aufhängte?

„Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Dieser launige Spruch von Robert Gernhardt hat schon seine Berechtigung. Heute verlangt der CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer eine kollektive Vergebung für alle in der DDR politisch Verantwortlichen. In einer Partei, die solch respektable Persönlichkeiten wie Heinz Eggert in ihren Reihen hat, dürfte das übers Ziel hinausschießen. Doch wenn nun, nach all den Aufgeregtheiten der vergangenen Monate, die CDU zu einem vernünftigen und maßvollen Umgang mit der Vergangenheit findet; wenn nun die Doppelmoral der öffentlichen Rote-Socken-Kampagnen und der heimlichen Zusammenarbeit mit der Linkspartei in den Kommunen ein Ende findet; wenn nun eine ehrliche, differenzierte und verantwortungsvolle Diskussion in Sachsen Einzug hält – wenn für all das Kretschmers Kehrtwende der Ausgangspunkt ist, dann soll es mir recht sein.

Dabei hoffe ich für die Generation meines Sohnes, dass ihm niemals vorgeworfen wird, er sei im vermeintlich „falschen“ Frankfurt geboren. Dass er am Main und nicht an der Oder das Licht der Welt erblickte, dort aber nur zwei Monate seines Lebens verbrachte und seither ein echter Sachse ist, interessiert in zwanzig Jahren hoffentlich niemanden mehr. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob die CDU ihren „Elch-Test“ besteht, oder ob sie angesichts ihrer Blockparteien-Vergangenheit doch nur einfach umgefallen ist.
Von Dirk Panter