Karl Nolle, MdL
Karl Nolle: Rede im Plenum des Landtages, 13.03.2009
"Polen hat als Staat aufgehört zu existieren."
Zur Friedenpolitik in Europa und Aussöhnung mit den Nachbarn.
Frau Präsidentin,
sehr vereehrte Damen und Herren der demokratischen Fraktionen!
70 Jahre ist es her, dass Deutsche Panzer die polnische Grenze niederwalzten und später im Blut und Schlamm von Stalingrad steckenblieben. Es war der Weg über die süßlich-rauchenden Schlote von Ausschwitz-Birkenau, dem fanatischen Hirngespinst eines totalen Krieges und Abermillionen ermordeter Menschen.
Dieser Wahnsinn wurde in einen Satz mit sieben schrecklichen Worten in das Gedächtnis der polnischen Nation eingebrannt:
"Polen hat als Staat aufgehört zu existieren."
Wo können wir sonst stehen als auf der Seite derjenigen, die damals niedergewalzt, nieder getrampelt, gefoltert, ermordet, verbrannt und verscharrt worden sind.
Das begann nicht erst am 1. September 39, sondern bereits mit der Machtergreifung 33, als die braunen Nazi-Horden am 23. März 1933, mit helfender Unterstützung aller damaligen sogenannten bürgerlichen und christlichen Parteien, Hitlers Ermächtigungsgesetz zur uneingeschränkten Terrorherrschaft der Nazis durchsetzten - gegen den alleinigen Widerstand der Sozialdemokraten (die Kommunisten waren bereits veboten) und ihres Fraktionsvorsitzenden Otto Wels, der den uniformierten Nazischergen mutig zurief:
"Freiheit und Leben kann man uns nehmen - die Ehre nicht."
Mehr als 25 Jahre nach dem Überfall auf Polen dauerte es, bis wir unseren Nachbarn und dem, nach den Juden wohl am meisten geschundenen, polnischen Volk, die Hand reichten. In der Präambel des „Warschauer Vertrages“ zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen vom 7. Dezember 1970, wird dies so dokumentiert: „In der Erwägung, dass mehr als 25 Jahre seit Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen sind, dessen erstes Opfer Polen wurde und der über die Völker Europas schweres Leid gebracht hat und dem Wunsche dauerhafte Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben und die Entwicklung normaler und guter Beziehungen (…) zu schaffen sowie dem Bewusstsein, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen eine grundlegende Bedingung für den Frieden sind…“
Anrede
Ich vergesse nie das ergreifende Bild des auf polnischem Pflaster kniehenden Bundeskanzlers Willy Brandt.
Und - wie ein deutscher Bundeskanzler, der Sozialdemokrat Willy Brandt, am 12. August 1970 in Moskau in einer Fernsehansprache den Vertrag zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik erläuterte. 25 Jahre nach der Kapitulation des von Hitler zerstörten Deutschen Reiches hatte die Bundesrepublik ihr Verhältnis zum Osten neu begründet, auf der Grundlage uneingeschränkten gegenseitigen Verzichts auf Gewalt.
Anrede
Ein Vierteljahrhundert nach der Katastrophe, die besonders von den Völkern im Osten
unzählige Opfer gefordert hatte, entsprach es dem Interesse des ganzen deutschen Volkes, die Beziehungen, gerade zur Sowjetunion zu verbessern, weil sie nicht nur eine der großen Weltmächte war, sondern auch ihren Teil der besonderen Verantwortung für Deutschland als Ganzes und für Berlin trug.
Und Willy Brandt scheute sich damals keineswegs in Moskau besonders an die Berliner-Mauer zu erinnern:
„Morgen sind es neun Jahre her, dass die Mauer gebaut wurde. Heute haben wir, so hoffe ich zuversichtlich, einen Anfang gesetzt, damit Menschen nicht mehr im Stacheldraht sterben müssen, bis die Teilung unseres Volkes eines Tages hoffentlich überwunden werden kann.“
Für uns Sozialdemokraten war damals klar, trotz des erbitternden, beschämenden politischen Widerstandes von großen Teilen der CDU:
„Europa endet weder an der Elbe noch an der polnischen Ostgrenze.“
Willy Brandt schloss seine Moskauer Fernsehrede mit den Worten:
"Mit diesem Vertrag geht nichts verloren, was nicht längst verspielt worden war. Wir haben den Mut ein neues Blatt in der Geschichte aufzuschlagen, die vor allem der jungen Generation zugute kommen wird, die im Frieden (...)aufgewachsen ist und die Folgen des Krieges doch mittragen muss, weil niemand der Geschichte unseres Volkes entfliehen kann.“
Anrede
Wir Sozialdemokraten wollen heute, angesichts des unsäglichen Missbrauchs dieses Parlamentes für braunen Wahn - und manch klammheimlicher, teils offener Sympathie auch anderswo - daran erinnern, dass wir es waren, die mit den Ostverträgen die entscheidenden historischen Grundlagen dafür gelegt haben, dass wir hier heute in Freiheit diskutieren und unseren demokratischen Rechtsstaat gegen die Feinde der Demokratie verteidigen können.