Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 16.03.2009

Die Macht der Fakten

Buch über Sachsens Rolle als Schrittmacher der Friedlichen Revolution / Tillich: Sonderausgabe für Schulen
 
Leipzig. Der Historiker Michael Richter beweist in seinem neuen Buch, dass Sachsen der zentrale Schrittmacher der Friedlichen Revolution in der DDR war. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat den Band in Leipzig vorgestellt.

„Das wird Bestand haben und hätte den Preis für das beste Sachbuch verdient“, sagt Hartmut Zwahr, emeritierter Historik-Professor der Leipziger Universität. Und auch die zur Buchpräsentation erschienenen ehemaligen Bürgerrechtler sprechen unisono, was sonst gar nicht so üblich für sie ist, von der „wichtigsten Dokumentation, die über die Friedliche Revolution auf dem Markt ist“.

Verfasst hat das im Wortsinn schwer wiegende, weil über 1600 Seiten dicke, Buch Michael Richter – 1952 in Ilfeld im Harz geboren, ausgewandert aus der DDR Anfang der achtziger Jahre und seit 1994 Historiker am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden. Eigentlich gehöre es sich ja nicht, dem Leser so etwas Umfangreiches zuzumuten. Doch die Flut der Ereignisse, eingeordnet in die weltpolitische Entwicklungen, verlange laut Richter diese Ausmaße. 20 Jahre nach dem Revolutionsjahr 1989 stellt er all den kursierenden Legenden seine geballte Macht des Faktischen entgegen. Dabei will er mit Deutungen eher zurückhaltend sein und geht von einem „akteursorientierten Ansatz“ aus, stellt also immer die Frage: Wer hat gehandelt?

Der Autor und seine unzähligen Helfer bei der Recherche listen Ereignisse in allen 54 Kreisen der ehemaligen Bezirke Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt auf und benennen 173 Städte und Gemeinden, in denen friedliche revolutionäre Taten stattfanden. Der Katalysator an sich waren schlicht und ergreifend – die Sachsen. Deren allgemeine Unzufriedenheit, die sich bald auch in der Massenflucht äußerte, trieb die DDR immer weiter an den Abgrund. Richters Fazit lautet: „Sachsen war der zentrale Schrittmacher der Friedlichen Revolution.“
Wer wissen will, wie das SED-Regime damals wirklich zum Einsturz gebracht wurde und wie auch in der unmittelbaren Heimat unmittelbar dazu beigetragen wurde, sollte sich Richters Revolutions-Bibel zulegen. Denn mit diesem Buch liegt 20 Jahre danach erstmals eine ausführliche zeitgeschichtliche Darstellung des Prozesses der SED-Entmachtung und der Demokratisierung bis zur Wahl am 18. März des Jahres 1990 vor.

Zu Präsentation ist sogar Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) ins Leipziger Haus des Buches gekommen. Er gesteht dabei ein: „Für viele, auch für mich selbst, war ein so schnelles Ende der DDR unvorstellbar. Umso mehr bewundere ich den Mut derer, die sich nicht abgefunden hatten mit der DDR. Deutschland ist zu recht stolz auf sie.“ Tillich betont, wie wichtig es ist Richters Buch, „dass das Bild der Friedlichen Revolution nachhaltig beeinflussen wird“, als Sonderausgabe auch an alle sächsischen Schulen zu geben. „Vor allem den jungen Sachsen, die in diesem Jahr zum ersten Mal wählen dürfen und die DDR nie selbst erlebt haben, müssen wir vermitteln, welchen Schatz uns die Friedliche Revolution gebracht hat“, sagt Tillich. Die ersten Bände des Buches überreicht der Politiker im Haus des Buches aus ausgewählte Vertreter von Schulen, Archiven, Bibliotheken gleich selbst. Ab Juli wird die zweibändige broschürte Sonderausgabe dann von der Landeszentrale für politische Bildung landesweit verteilt.

In seiner Freizeit schreibt der Historiker Richter, in Wehlen in der Sächsischen Schweiz zu Hause, übrigens gern ganz kurz und knapp – Aphorismen. Ein solches Buch von ihm heißt „Richtersprüche“. Und ein Spruch, den der Autor des historischen Mammutwerkes bei der Buchpräsentation zum Besten gibt, lautet: „Manche leben so vorsichtig, dass sie wie neu sterben.“ Die revolutionären Sachsen sind damit natürlich nicht gemeint.
Von THOMAS MAYER

⁄Michael Richter, Die Friedliche Revolution – Aufbruch in Sachsen 1989/90. Sächsische Landeszentrale für politische Bildung/Verlag Vandenhoeck & Ruprecht; 1612 S., 59 Euro, www.slpb.de www.89-90.sachsen.de