Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 27.03.2009
Wende-Manöver der Linkspartei
Die SED-Nachfolgepartei bemüht sich mithilfe eines Thesenpapiers die eigene Rolle im Revolutionsjahr 1989 neu zu interpretieren.
Wenige Monate vor den Feierlichkeiten zum 20-jährigen Wende-Jubiläum tritt zumindest die Linkspartei in Sachsen die Flucht nach vorne an. Als SED-Nachfolgepartei mitten im Wahlkampfjahr ist sie besonders angreifbar für kritische Nachfragen zur DDR-Vergangenheit.
Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Fraktion, Landesvorstand und dem Dresdner Totalitarismusforscher Gerhard Besier hat darum seit einem Jahr an einem Thesenpapier gefeilt. „Gnadenlos kritisch“ wolle man mit der eigenen Vergangenheit umgehen, sagt Ex-Fraktionschef Peter Porsch, der die Endredaktion innehatte. Die Landeschefin der Linken, Cornelia Ernst, stellte es gestern vor. Am Sonnabend soll es auf einem Kongress in Dresden diskutiert werden.
These 1: Die SED hatte einen Anteil an der Revolution 1989
Die Vorgängerpartei SED habe einen „authentischen Anteil am „Wir sind das Volk!“, am Geist der 89-er Bewegung“. So versucht die heutige Linkspartei ein kleines Stück vom Wende-Ruhm im Nachhinein für sich zu proklamieren. Benennen kann Cornelia Ernst diesen Anteil erst auf Nachfrage: Dass die Revolution friedlich verlaufen sei, habe mit Diskussionen in der SED zusammengehangen, meint sie. „Dass nicht geschossen wurde – da haben wir einen gewichtigen Anteil geleistet“, lobt sie einstige Spitzenfunktionäre. „Als Linkspartei haben auch wir einen Beitrag zur Demokratisierung geleistet.“
THESE 2: Die DDR war eine Diktatur – aber anders
Unter heutigen Genossen dürfte aber vor allem eine These für Aufregung sorgen: „Die DDR war wie andere Staaten des Ostblocks eine Diktatur, in der viele ihrer Bürger Zwang, Angst, Hilflosigkeit und Unterdrückung erlebten“, heißt es in dem Thesenpapier. Auf Nachfrage relativierte Parteichefin Ernst dies jedoch wieder ein wenig. Eine Diktatur des Proletariats ja – „aber die These vom Unrechtsstaat lehne ich ab“. Denn das sei „eine moralische Kategorie“. Die DDR habe zwar kein unabhängiges, aber in Teilen ein gutes Rechtssystem“ gehabt, so Ernst. Die DDR sei eine autoritäre, aber keine totalitäre Diktatur gewesen, assistierte Besier, der frühere Direktor des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, der Linkschefin. Allerdings seien DDR-Diktatur und nationalsozialistische Diktatur nicht gleichsetzbar.
These 3: Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus
Die DDR sei „ein legitimer Sozialismusversuch“ gewesen – „kein Betriebsunfall der Geschichte“, lautet die Diagnose der linken Arbeitsgruppe weiter. Die „große Mehrheit“ der Akteure der damaligen Bürgerrechtsbewegungen in der DDR hätten nicht für die Wiedervereinigung, sondern für einen demokratischen Sozialismus gekämpft. Der bleibe das Ziel. Wie die Wiedervereinigung vollzogen worden sei, sei eine „kollektive Demütigung“ der Ostdeutschen gewesen, so Besier. Ohnehin habe die Linkspartei heute, was Sozial- und Wirtschaftspolitik angehe, die „glaubwürdigeren Antworten“ als alle anderen Parteien. „Ich hatte immer eine besondere Vorliebe für Schmuddelkinder“, erklärt Besier seine Beratung der Linkspartei.
These 4: Partei bekennt sich zu „dunklen Seiten“
Entschuldigt habe sich die SED/PDS für die „Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen wurden“, bereits auf einem Sonderparteitag 1989, heißt es. Die Linkspartei „leugnet nicht die dunklen Seiten ihrer Geschichte“. Das Wort Stasi kommt in dem Text gar nicht erst vor. Nur einmal ist von „mächtigen Inlandsgeheimdiensten“ und einer „zunehmenden Durchherrschung der Gesellschaft“ die Rede. Doch welche Schuld auch immer – keiner dürfe „ein Leben lang ausgegrenzt bleiben“.
Von Annette Binninger