Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 10.04.2009

Weiter Streit um Bewertung der DDR

Der Streit um die Bewertung der DDR und die Lebensleistung ihrer Bürger hält an.
 
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) verlangte am Donnerstag, die DDR nicht global zu verdammen, sondern fair zu beurteilen. Die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen und gescheitert, aber die DDR-Bürger seien nicht gescheitert, sagte Thierse der „Berliner Zeitung“.

„Stasi war das Faszinosum. Das ist verständlich, aber darin geht die DDR-Geschichte nicht auf.“ Der Direktor der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Berlin- Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, warf Thierse deshalb eine Tendenz zur Verharmlosung der SED-Diktatur vor.

„Der Umgang mit der DDR-Geschichte leidet daran, dass sie in den 90er-Jahren politisch und medial vermarktet worden ist als eine Skandalgeschichte von Feigheit und Verrat“, kritisierte Thierse. Es müsse unterschieden werden zwischen dem System namens DDR und den Menschen, die in diesem System lebten. „Das Urteil über die DDR ist eindeutig: Sie war kein Rechtsstaat. Sie war eine Diktatur. Sie war ein System der Misswirtschaft, das deshalb am Schluss auch in sich zusammengebrochen ist“, sagte der SPD-Politiker.

Viele Menschen in Ostdeutschland hätten das Bedürfnis, dass ihre Biografien angemessen und fair bewertet werden, erläuterte Thierse. Damit seien auch Umfrage-Ergebnisse zu erklären, nach denen die Hälfte der Ostdeutschen sich Errungenschaften aus der DDR zurückwünscht. Es sei wichtig, dass über die Lebenspraxis der Menschen nicht nur Vernichtungsurteile gesprochen werden.

Dazu sagte Knabe: „Es ist verständlich, wenn Politiker vor Wahlen den Menschen nach dem Munde reden. Bei der Bewertung einer Diktatur sollten sie jedoch nicht herumeiern.“ Thierses Forderung, zwischen den Menschen und dem System in der DDR zu unterscheiden, sei ebenso „trivial wie irreführend“, so Knabe. „Niemand macht den Ostdeutschen zum Vorwurf, dass sie in einer Diktatur leben mussten. Das Problem ist, dass viele diese Diktatur im Nachhinein schönzureden versuchen.“

Auch Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) zeigte Verständnis dafür, dass ehemalige DDR-Bürger keine Pauschalverurteilungen mögen. „Niemand lässt sich gern das eigene Leben runterreden“, sagte Sarrazin der „Berliner Morgenpost“.

Die DDR sei ein Unrechtsstaat gewesen, der aber seine Bürger nicht permanent unterdrückt habe. „Für 90 Prozent der Leute lief 90 Prozent des Lebens völlig normal“, sagte Sarrazin. Nur die Folgerung, dass das System nicht so schlimm gewesen sei, „ist falsch“. (dpa)