Karl Nolle, MdL

Stuttgarter Zeitung, Seite 2, 19.06.2008

Frühere Blockflöten geben den Ton an

Im Osten übernehmen die ehemaligen Mitglieder der linientreuen DDR-Parteien das Ruder
 
Selbst in den neuen Landeskabinetten setzt die CDU in den traditionell schwarzen Ländern Sachsen und Thüringen mittlerweile gezielt auf einstige DDR-Staatsdiener, Volkskammerabgeordnete, Blockpartei- und FDJ-Funktionäre. Man weiß, dass dies beim Wahlvolk gut ankommt.

Als die Dresdener CDU wieder mal die Vergangenheit bemühte, um die SPD mit Blick auf die Oberbürgermeisterwahl am Sonntag vor rot-roten Bündnissen zu warnen, keilte diese harsch zurück. Der neue Ministerpräsident Stanislaw Tillich bekam den Spiegel vorgehalten. Wer 1987 der Blockpartei CDU beitrat und sein Geld in einer staatlichen Landkreisverwaltung verdiente, "war mit Sicherheit kein Widerstandskämpfer", erregte sich der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle. Mithin unterstellte er der Union eine "historische Schizophrenie". Tillichs Zugehörigkeit zu den linientreuen Christdemokraten der DDR hält Nolle für den "Gipfel der Scheinheiligkeit" seitens der Sachsenunion.

Nolle, ein Druckereiunternehmer aus Hannover, lebt zu lange schon im Osten, um in der Blockparteivergangenheit von CDU-Abgeordneten wirklich ein Problem zu sehen. Es ging ihm wohl nur darum, dass die CDU mit Blick auf die Linkspartei mit zweierlei Maß misst. Womöglich muss er aufpassen, sich hier nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Denn politische Biografiebrüche gelten in Ostdeutschland immer weniger als Makel.

Sie sind auch kein Novum der sächsischen Landespolitik. So war Innenminister Albrecht Buttolo bereits 1979 der Ost-CDU beigetreten, der bisherige Kultusminister und künftige CDU-Landesfraktionschef Steffen Flath 1983. Frank Kupfer, der Agrar- und Umweltminister im neuen Landeskabinett, das Tillich gestern in Dresden vorstellte, war bereits von 1982 an Mitglied und ab 1986 hauptamtlicher Funktionär der Block-CDU.

Als Blockflöten bewitzelte man in der DDR die Mitglieder der anderen Parteien des sogenannten Demokratischen Blocks -neben der CDU auch die Liberal-Demokratische Partei (LDPD), die National-Demokratische Partei (NDPD) und Demokratische Bauernpartei (DBD). Sie galten oft als linientreuer als die SED-Genossen, teils aus echter Überzeugung, teils aus karrieristischen Gründen. Denn nicht jeder mit bürgerlichem Hintergrund - Lehrer, Ingenieure, Wissenschaftler -fand Aufnahme in die Einheitspartei, die sich bemühte, in ihrer Mitgliederstruktur eine Arbeiterpartei zu sein. Die Blockparteien boten damit ein gewisses Auffangbecken, zumal sie in allen staatlichen Strukturen der DDR nach einem festen Proporz vertreten waren. So stellten sie stets Minister und Bürgermeister, die CDU lange den Volkskammerpräsidenten.

Nach der Einheit übernahmen sowohl die CDU als auch die FDP zwei komplette Blockparteien und brachten deren Mitglieder bis in höchste Ämter. So machte die FDP schon zweimal eine frühere hauptamtliche LDPD-Blockflöte zu ihrem Generalsekretär. Diese Linie zog sich durch alle ostdeutschen Landeskabinette. Auffällig wird sie jetzt jedoch dadurch, dass ausgerechnet in Sachsen und Thüringen - den politisch schwärzesten Ostländern - Exblockflöten sogar die Regierung führen. Denn auch der Erfurter Ministerpräsident Dieter Althaus war bereits 1985 als 27-Jähriger der Ost-CDU beigetreten. Damals war er stellvertretender Schuldirektor und setzte sich in verschiedenen Reden ambitioniert für den "Erhalt des Sozialismus" ein.

Fast das halbe Thüringer CDU-Kabinett engagierte sich in der Blockpartei. Sozialministerin Christine Lieberknecht verdiente sich erste politische Sporen während ihres Theologiestudiums als Funktionärin der Staatsjugend FDJ. Die eben vereidigte Justizministerin Marion Walsmann saß im ostdeutschen Abnickparlament Volkskammer.

In der Thüringer und erst recht nun der sächsischen CDU betrachtet man Personalien wie die Wahl Tillichs offenbar sogar als einen klugen Schachzug. Schließlich musste sich in Dresden gerade erst der zweite Westprofessor wegen überführter Raffkementalität vom Feld stehlen. Das schaffte nicht nur viel Verbitterung bei den Sachsen. Es provoziert zugleich eine nostalgische Rückbesinnung auf einstige Zeiten, da es jene Haupteigenschaften, die man laut einer Befragung durch die Freie Universität Berlin bis heute vor allem den Westdeutschen attestiert, deutlich weniger zu geben schien: Überheblichkeit, Machtgier, übersteigerter Ehrgeiz, Egoismus.
Von Harald Lachmann, Dresden