Karl Nolle, MdL
Berliner Zeitung, Seite 3, 14.04.2009
Der Hauptfeind sitzt im eigenen Land
Karl Nolle ist Sozialdemokrat in der vierten Generation und er verfolgt eine Mission - den Kampf gegen die "Blockflöten" in der sächsischen CDU
DRESDEN. Karl Nolle sagt, seine Grundsatzrede auf dem Parteitag sei heftig beklatscht worden. Und auf die Kandidatenliste der sächsischen SPD zur Landtagswahl sei er mit immerhin 86,1 Prozent der Stimmen gekommen. "Sehr zur Überraschung meiner Parteiführung", wie er betont. Nolle redet und redet. Über sich. Über die sächsische CDU, "die Schwarzen", wie er sie nennt. Und über seine SPD, die sich schwer mit ihm tut. Der streitsüchtige Landtagsabgeordnete aus Dresden mag sich so gar nicht der Parteidisziplin der Sozialdemokraten beugen, die lieber den Burgfrieden mit ihrem Koalitionspartner bewahren würden.
In nächster Zeit will Karl Nolle nun endlich auch sein Buch veröffentlichen, dessen Inhalt schon seit Wochen Zeile für Zeile nach außen dringt und für Aufregung und bizarre Rechtfertigungsversuche im Freistaat Sachsen sorgt. "Sonate für Blockflöten und Schalmeien" wird das rund 250 Seiten starke Werk heißen, keine zehn Euro soll es kosten. Es ist Nolles Abrechnung mit der sächsischen CDU. Detailliert beschreibt er darin, wie Christdemokraten erst in der DDR und dann, nach der Wende, in Sachsen Karriere machten und - wie er sagt - heute nicht zu ihrer Geschichte stehen.
CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich musste wegen des angekündigten Buches bereits seinen im Internet veröffentlichten Lebenslauf korrigieren. Nolle hatte Lücken in dessen offizieller Vita enthüllt. Und der frühere Innenminister Heinz Eggert droht mit einer Klage, weil der SPD-Abgeordnete ihm vorwirft, er habe in den Neunzigerjahren Stasi-belastete Polizisten in den Staatsdienst übernommen.
Die CDU spricht von Rufmord. Landtagsabgeordnete der Partei beschimpfen Nolle als Dreckschleuder und Selbstdarsteller. Dieser gibt sich bei aller Aufregung um seine Person gelassen. Je heftiger die Empörung über ihn, desto besser.
Diese Rammbock-Mentalität ist dem Mann trotz seiner schwergewichtigen Statur nur selten anzumerken. Im Landtag und in Diskussionsrunden gibt er sich meist gelassen. Mit sparsamen Gesten und ausdruckslosem Gesicht argumentiert er dort und trägt die schärfsten Angriffe auf die "Schwarzen" betont beiläufig vor. Nur manchmal huscht ein Lächeln über sein Gesicht, immer dann, wenn ihm eine höhnische Bemerkung über den Gegner besonders gelungen erscheint.
Nolles Wahlkreisbüro liegt im vierten Stock seines Druckhauses im Dresdener Stadtteil Striesen. An der Wand des Besprechungsraums hängt ein riesiges Tafelbild, über das sich kühn Farbströme ergießen. "Roter Platz" heißt das im Wendeherbst 1989 entstandene Gemälde von Christoph Rust. Der Leipziger Künstler hat die Fotografie einer ringförmigen technischen Anlage schwungvoll mit schwarzer und grellroter Farbe übermalt. Es soll ein Sinnbild sein für den menschlichen Störfaktor, der klare Konstruktionen und Abläufe durcheinanderbringt. Nolle mag das Bild, auch deshalb, weil die rote Farbe darin dominiert. Rot und Schwarz - das sind die beiden Pole seiner Welt.
Karl Nolle, gerade 64 Jahre alt geworden, ist mit achtzehn in die SPD eingetreten. Das war Tradition in der Familie: Der Urgroßvater saß wegen Bismarcks Sozialistengesetzen in Haft, der Großvater flog aus dem öffentlichen Dienst, weil er zu einer Demonstration am 1. Mai aufgerufen hatte, der Vater gehörte in der NS-Zeit einer Widerstandsgruppe an. "Aus dieser sozialdemokratischen Linie in meiner Familie sauge ich politischen Honig", sagt Nolle mit einem für ihn untypischen Pathos. "Wir haben schon immer auf der richtigen Seite gestanden."
Die richtige Seite ist für Nolle die linke. Das hat es ihm schon in der Vergangenheit nicht immer leicht gemacht in der SPD. Zwei Parteiordnungsverfahren handelte sich Karl Nolle schon als aktiver Juso ein, "wegen angeblicher Beleidigung von führenden Funktionären", wie er sagt. 1986 flog er dann sogar aus der Partei, weil er im niedersächsischen Landtagswahlkampf dazu aufgerufen hatte, mit der Erststimme SPD und mit der Zweitstimme die Grünen zu wählen.1988 war er wieder drin, Franz Müntefering persönlich hatte seine Erklärung zum Wiedereintritt abgezeichnet.
Am Tag des Mauerfalls 1989 kam Nolle aus seiner Heimatstadt Hannover nach Dresden und blieb seitdem. Und das, obwohl sich in der sächsischen Realität das Machtverhältnis von Schwarz und Rot anders darstellt als auf dem Bild in seiner Druckerei. Die SPD sitzt zwar seit fünf Jahren in der Regierung, aber eben nur als Juniorpartner der bis 2004 allein regierenden CDU. Von einer großen Koalition kann man kaum sprechen, denn die sächsische SPD holte bei der letzten Landtagswahl gerade mal 9,8 Prozent der Stimmen, nur wenig mehr als die rechtsextreme NPD.
Nolle hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er von dem ungeliebten Bündnis mit der CDU wenig hält. Bei jeder Gelegenheit wirft er dem Koalitionspartner Überheblichkeit und Ignoranz vor. "Die Schwarzen haben nicht begriffen, dass Koalitionen immer Konsensveranstaltungen sein müssen", sagt er. Allerdings trage seine Partei Mitschuld daran, wenn sie so kujoniert werde. "In der Bundesregierung setzt die SPD ja auch konsequent eigene Positionen durch", sagt Nolle. "Und schauen Sie mal auf die FDP, die hat jahrzehntelang mit zehn Prozent Stimmenanteil Weltpolitik gemacht." Nur hier in Dresden seien die Sozialdemokraten zu gutmütig, würden sich in der Landesregierung lieber anpassen, als selbstbewusst die CDU herauszufordern. "Wer diesen Kurs aber nicht mitfahren will, braucht ein breites Kreuz, auch wenn die Basis hinter ihm steht."
Womit Karl Nolle wieder bei sich selbst angelangt ist. Als Rebell sieht er sich, als einziger, der es wagt, der CDU die Stirn zu bieten. "Bevor ich 1999 in den Landtag kam, gab es dort eine königlich-sächsische Hof-Opposition", spottet er und grinst. Mit seinen lautstarken Reden und bissigen Zwischenrufen sei er daher schnell aufgefallen, die CDU habe ihn schon bald als "extremistischen Abgeordneten" beschimpft, der ein "freches Auftreten" an den Tag lege.
Nolle erzählt das gern, denn er ist stolz auf seinen Status als Hauptfeind der sächsischen CDU. Diesen Rang hat er sich hart erkämpft, auch durch seinen Jagdeifer in den Untersuchungsausschüssen des Landtages. Erst setzte Karl Nolle dem CDU-Regierungschef Kurt Biedenkopf wegen dessen Tricksereien beim Bau eines Behördenzentrums im Leipziger Stadtteil Paunsdorf zu, dann trieb er Amtsnachfolger Georg Milbradt wegen des Desasters der Landesbank Sachsen LB vor sich her. Zuletzt bedrängte Karl Nolle in der Affäre um den sogenannten "Sachsen-Sumpf" die CDU-Minister für Justiz und Inneres wegen deren zögerlichen Vorgehens gegen kriminelle Netzwerke. Und nun, zum Jubiläum des Wendeherbstes, das zufällig mit dem Landtagswahlkampf zusammenfällt, nimmt er die "Blockflöten" aufs Korn.
Als reine Wahlkampfaktion wolle er seine Kampagne aber nicht verstanden wissen, betont Nolle. Vielmehr gehe es ihm um Grundsätzliches - die, wie er es nennt, Scheinheiligkeit der sächsischen Christdemokraten, die seit der Wende alles Schlimme und Schlechte in der DDR auf die PDS abgewälzt hätten. "Dabei gehörte doch der Großteil ihrer eigenen Leute der Ost-CDU und damit einer DDR-Systempartei an", erregt er sich.
"Es geht nicht um 17 Millionen Ostdeutsche, sondern ausschließlich um die Staats- und Parteifunktionäre der Ost-CDU, die sich nicht an ihr Mittun in der DDR erinnern wollen." Karl Nolle, SPD, über sein Enthüllungsbuch
Dann lehnt sich Nolle zurück und betet mit monotoner Stimme und halb geschlossenen Augen die Beispiele herunter: Ministerpräsident Tillich etwa, der noch im Mai 1989 nach der gefälschten Kommunalwahl Vizechef vom Rat des Kreises wurde, nachdem er auf der Potsdamer Hochschule für Staat und Recht als einer der sogenannten B-Kader geschult wurde, die im Krisenfall Führungsverantwortung bei der Verteidigung des DDR-Regimes übernehmen mussten; drei CDU-Kreissekretäre aus DDR-Zeiten, die heute hohe Funktionen in Regierung und Parlament ausüben; die christdemokratischen Landräte, die einst zur DDR-Nomenklatura gehörten; der Landespolizeichef, der in der Wendezeit die SED verließ und der CDU beitrat; die "Blockflöten" von der Ost-CDU, die nach der Wende zeitweise drei Viertel der christdemokratischen Fraktion in Dresden stellten. Von den heutigen Landtagsabgeordneten habe fast jeder zweite schon in der DDR der CDU angehört, die damals mit den anderen Parteien der DDR in der Nationalen Front gebunden war, rechnet Nolle vor.
Jetzt hebt sich seine Stimme wieder. "Kollaborateure und Quislinge des DDR-Regimes" hätten nach der Wende die Macht in der sächsischen CDU übernommen, sagt er. Das ist seine These, die noch dazu ein heikles historisches Gleichnis wagt. Denn mit dem Begriff des Quisling zieht Nolle eine Parallele zur NS-Zeit: Quisling hieß der norwegische Statthalter Hitlers während des Zweiten Weltkrieges.
Keineswegs wolle er damit die DDR und Hitlerdeutschland gleichsetzen, wiegelt Nolle ab "auch nicht ansatzweise". Ebenso wenig gehe es ihm mit seinen Angriffen auf die CDU darum, über DDR-Biografien zu richten. "Ich will keine Täter-Opfer-Diskussion vom Zaun brechen, sondern nur die Heuchelei der Schwarzen enthüllen. Es geht nicht um 17 Millionen Ostdeutsche, sondern ausschließlich um die Staats- und Parteifunktionäre der Ost-CDU, die sich nicht an ihr Mittun in der DDR erinnern wollen", sagt er.
Die CDU habe ihre machtpolitische Dominanz in Sachsen eben nur dank ihres mächtigen "Blockflötenapparates" aus DDR-Zeiten erlangen können. "Damit haben nach der Wende ausgerechnet diejenigen, die verlässlich und linientreu das DDR-System bis zuletzt stützten, die Deutungshoheit über Richtig und Falsch übernommen und tausende Wissenschaftler, Richter, Lehrer und öffentliche Bedienstete wegen Staatsnähe aus ihren Ämtern gejagt." Die Folge dieser Personalpolitik sei es, dass die CDU alle wichtigen Posten im Freistaat mit ihren Leuten besetzen konnte. Eine "Reinform der Macht" sei so in Sachsen entstanden, wie es sie nirgendwo anders gebe in der Bundesrepublik, sagt Nolle.
Dies alles werde in seinem Buch noch viel genauer nachzulesen sein, das nun bald in seinem eigenen Verlag erscheint. Der SPD-Abgeordnete Karl Nolle wirbt dafür bereits seit geraumer Zeit auf seiner Internetseite, die auch all seine Reden und Anfragen im Parlament dokumentiert. Wie auch die Zeitungsartikel, in denen sein Name auftaucht. Demnächst werden wohl noch einige hinzukommen. Eine Umfrage auf dieser Homepage bescheinigt Nolle hohe Sympathiewerte. Er hat diese Studie selbst in Auftrag gegeben.
von Andreas Förster