Karl Nolle, MdL
Medien Info Sachsen Newsletter, medien-info@web.de, 28.04.2009
Das Sein und das Unterbewusstsein Schwatzbude Tratschbude
Causa Nolle regt Justiz zu aufschlussreichen Wortschöpfungen an
Dresden – Eine nicht repräsentative Umfrage ergab: Die Leserinnen und Le-ser dieser Publikation bevorzugen als Zweitlektüre die Zeitung mit den vier großen Buchstaben und den intellektuell angehauchten Beiträgen. Die Rede ist hier von der ZEIT – oder was hatten Sie gedacht?
Eine Leserfrucht der Ausgabe vom 8. März ist uns besonders im Gedächtnis geblieben. Berichtet wurde über den Landeparteitag der sächsischen NPD und die hohe Meinung, die das völkische Delegiertenvolk über den Dresdner Landtag hat. Wir zitieren: „ ‚Ein Parlament ist immer Mittel zum Zweck‘ – und der liege für seine Partei nicht in der Gestaltung der Demokratie, sondern in der Überwindung des Systems, steigert sich Apfel (NPD-Fraktionschef im Landtag, d.R.).
Inzwischen hat er dreimal den Begriff‚sächsischer Landtag‘ durch ‚Schwatzbude‘ ersetzt und jedes Mal haben die Delegierten … applaudiert.“ „Schwatzbude“, das war der herabwürdigende Kampfbegriff, mit dem weiland die Nationalsozialisten den Parlamentarismus diskreditierten.
Seit gestern ist das Handwörterbuch der politischen Schmähvokabeln um einen einschlägig-pejorativenen Terminus reicher. Nein, nicht „Schweinegrippe“. Die Rede ist von: „Tratschbude“. Geprägt hat diesen eingängigen Begriff der Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, Christian Avenarius. Wir zitieren aus der heutigen Ausgabe der Sächsischen Zeitung: „Das Problem ist, dass der Landtag so eine Tratschbude ist, in der geheimhaltungsbedürftige Dinge einfach nicht geheimgehalten werden.“ Wir wollen an dieser Stelle Zeugnis ab-legen: Unser Vertrauen in die heimische Justiz ist ungebrochen, und wir wären ja auch bescheuert, würden wir in der Öffentlichkeit etwas anderes behaupten.
Der Einblick, den uns der Justizvertreters in sein Unterbewusstsein gewährte, mag dem Umstand geschuldet sein, dass er sich in einer Ausnahmesituation befand, ist er doch gewöhnlich ein Ankläger. In diesem Falle jedoch musste er sich in Rechtfertigung üben. Die Situation des Angeklagten ist immer misslich. Schon so manchem Befragten sind – auch ungefragt – Äußerungen entfah-ren, die er besser im Busen bewahrt haben würde. Konkret wollte sich Avenarius gegen den Vorwurf wehren, seine Behörde habe die Vorbereitung von Ermittlungen gegen den SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle an die Öffentlichkeit lanciert.
Man möchte es kaum glauben: Eine verblendete Minderheit ist nämlich der Ansicht, hinter den Ermittlungen und der Veröffentlichung stecke mutmaßlich eine politische Kampagne. In Wirklichkeit geht es um eine eher akustische Frage. Nolle, der bisher als Politiker und Druckereiunternehmer hervorgetreten ist, will sich mit einem Abriss über das Zusammenspiel von Schalmeien und Blockflöten auch noch in die Annalen der sächsischen Musikwissenschaft katapultieren. Das Werk soll die Harmonielehre umwälzen und wird seit langem avisiert. Wir wagen zu behaupten, genau so entfaltet es auch seine größte Wirkung: Angekündigt. Mit Bangen erwartet.
Ein lauerndes Ärgernis, das, gleich der 48-bändige Lexikon-Ausgabe des Damokles, an seidenem Gespinst schwer über den Köpfen der mutmaßlich Besprochenen hängt. Einigen, wie Freunden der italienischen Oper, scheint die ganze Musikrichtung nicht zu passen: Man werde dem Nolle schon die Flötentöne beibringen, mit Pauken und Trompeten, und zwar nach Noten! Heißt es. Andere sind der Auffassung: Wer nicht zeitebens im Lande geblieben sei und sich mehr oder minder redlich genährt habe, dürfe zum Thema Harmonielehre nicht mitreden. Dies gelte sowohl für die Epoche der DDR als auch für die folgende Ära der CDR (Christ-Demokra-tische Regierung). Der Wessi schweige in der Tratschbude! (Ein Verdikt, das neben Nolle kollateral auch zwei Ex-Regierungschefs treffen könnte.) Wir meinen, jeder darf über alles reden. Im Prinzip. Dann erfuhren wir: Im aktuellen Konzert tritt als zweite Geige die Steuerfahndung auf. Statt nun weiter ins Horn zu stoßen, ziehen wir es deshalb vor, für einige Takte zu pausieren.
Cora Lejo