Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 17.06.2009

Partei-Chef mit Beißhemmung

SPD-Spitzenkandidat Jurk gilt als Gewährsmann für Schwarz-Rot in Sachsen / Reibereien mit Nolle
 
Dresden. Seit knapp fünf Jahren fungiert Sachsens SPD als kleiner Partner in einer Koalition mit der CDU. Ebenso lange hadern die Sozialdemokraten mit sich selbst. Braves Mitregieren oder heimliche Opposition – dieser interne Richtungsstreit prägt bis heute die Partei. Gewährsmann für Schwarz-Rot ist SPD-Chef Thomas Jurk, als Aushängeschild für die Kritiker des Bündnisses gilt Karl Nolle.

Wenn der SPD-Aufdecker Nolle an diesem Freitag sein Buch zur DDR-Vergangenheit führender Christdemokraten präsentiert, hat nicht nur die Union in Sachsen ein Problem. Auch SPD-Chef und Wirtschaftsminister Jurk ist nicht gerade glücklich über das Projekt seines Parteifreundes – zumal an seinem Ehrentag. „Es ist mein Geburtstag“, sagt Jurk auf Nachfrage, „und ich habe es mir nicht gewünscht.“ Jurk wird am Freitag 47.

Das ist keine neue Lesart aus dem Munde des SPD-Chefs. Schon Anfang März klang es ähnlich. „An einer Zuspitzung der Debatte bin ich nicht interessiert“, sagte er damals mit Blick auf Nolle am Rande eines SPD-Parteitags in Oschatz – was meint: Mit den Attacken auf Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) beim Thema DDR-Vergangenheit könne die SPD kaum punkten.

Das sieht die Partei zum Teil erheblich anders, was auch schon in Oschatz zu beobachten war. Obwohl Nolle erneut die „Doppelmoral der Märchenerzähler von der christlich-demokratischen Einheitspartei“ geißelte, wurde er von den Delegierten mit satten 89 Prozent auf einen Listenplatz gesetzt – auf gleichem Niveau wie Jurk.

Und auch weiter oben hat der SPD-Aufklärer Fürsprecher. Zwar ist die derzeitige Landtagsfraktion reichlich strukturkonservativ besetzt. Lediglich ihr Chef Martin Dulig sowie der Leipziger Noch-Abgeordnete Cornelius Weiss hegen Sympathien für Nolle, mehr oder weniger. Aber klar ist ebenso: In der neuen SPD-Fraktion sind die Kräfteverhältnisse anders verteilt. Nicht wenige Jusos sind derzeit auf dem Sprung in den Landtag.

Dahinter schwelt ein alter Konflikt. Auch nach knapp fünf Jahren Regierungsbeteiligung gibt es in der SPD eine klammheimliche Neigung der Basis zur Opposition. Nicht wenige tun sich schwer mit Polit-Kompromissen der eigenen Leute im Kabinett, wollen stattdessen lieber andere vor sich her treiben, vorzugsweise den großen Koalitionspartner CDU. Dazu gehört nicht zuletzt SPD-Generalsekretär Dirk Panter. Ganz anders sieht Jurk die Lage, oft genug demonstriert der brave Parteisoldat das, was man Beißhemmung nennt. „Die SPD ist der stabilisierende Faktor in der Koalition“, sagt er, das Mitregieren habe sich gelohnt, fürs Land, aber auch für die eigene Partei. Schließlich habe die SPD einiges erreicht im Bündnis, und – natürlich – wolle er auch nach der Wahl Ende August Minister bleiben.

Manch einem in der Union erscheint das wie das berühmte Kleben am Amt. Und in der Tat: Sollte die SPD nach der Augustwahl aus der Regierung fliegen, hätte Jurk in der Fraktion ein Problem. Denn dort träfe er, der Landeschef, als einfacher Abgeordneter auf Dulig, den bisherigen Fraktionschef und Spitzenmann mit Zukunft. Für die CDU-Führung steht diese Frage nicht im Mittelpunkt, sie sieht eher ein anderes Problem. „Es fällt auf, dass in der SPD alles dem Selbstlauf überlassen bleibt“, meint CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer. „Jurk ist zu schwach, den eigenen Laden zu führen.“ Und natürlich ärgert sich Kretschmer besonders über das Wirken von Nolle, den Jurk in den Griff bekommen müsste, was aber nicht gelingt.

Die Lösung für die Union ist deshalb ein Bündnis mit der FDP. Doch auch hier gibt es unter der Hand längst eine Gegenbewegung. Erkennbar ist das zarte Abtasten von CDU-Spitzen, ob es nach der Wahl nicht zur Not auch mit der SPD weitergehen könnte. Dahinter steht die Erkenntnis, dass der bisherige Vorzugspartner FDP derzeit als wenig verlässlich gilt – eine Eigenart, die man zumindest Jurk nicht unterstellen könne.
Von JÜRGEN KOCHINKE