Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, Seite 10, 19.06.2009

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Wie Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz mit einer Reise den Welterbe-Titel für ihre Stadt retten will
 
Dresdens - Helma Orosz, die Dresdner Oberbürgermeisterin, hat es nicht leicht: Seit die einstige Kindergärtnerin im vergangenen Sommer zur ersten Bürgerin der Elbestadt gewählt wurde, sieht man sie in wechselnden Kostümen bei bedeutenden Anlässen durchs Fernsehbild stöckeln - und immer wieder erregt ihr Outfit Anstoß. Als der russische Präsident Wladimir Putin im Januar zum Semperopernball nach Dresden kam, trug Orosz ein höchst auffälliges Kollier, das ein örtliches Juweliergeschäft der Oberbürgermeisterin zu Reklamezwecken ausgeliehen hatte. Den US-Präsidenten Barack Obama empfing die Kommunalpolitikerin in einem pinkfarbenen Etuikleid mit Jäckchen, gefertigt von einer Dresdner Designerin, deren Name auch sogleich bekannt gemacht wurde. „Miss Piggy" witzelten die einen über die modebewusste OB, andere dachten an Schleichwerbung.

Am Donnerstag erschien die Politikerin nun in einem roséfarbenen Kostüm im sächsischen Landtag: Sie wollte erklären, wie der Verlust des Welterbetitels für Dresden, der wegen des Baus der umstrittenen Waldschlösschenbrücke droht, im letzten Moment noch abzuwenden wäre. Denn am Wochenende tritt das internationale Welterbe-Komitee zu seiner Jahresversammlung in Sevilla zusammen. Anfang kommender Woche steht die als einmalig betrachtete Kulturlandschaft an der Elbe auf der Tagesordnung. Das Pariser Welterbezentrum hat den Delegierten aus 21 Ländern bereits die Aberkennung des Titels empfohlen, weil es die Elbeauen unwiderruflich durch den Brückenbau verschandelt sieht.

Helma Orosz möchte den Unesco Delegierten nun einen „ Kompromiss" vorschlagen, der verblüffend einfach klingt: Ihr Ziel sei es, in Sevilla zu erreichen, dass der Aberkennungsbeschluss vertagt würde, erklärte die Oberbürgermeisterin. Für wie lange die Vertagung gelten soll? Ganz einfach, meint Orosz: „Bis die Brücke fertig gestellt ist". Dann werde man ja sehen, dass das Bauwerk „kein Schandfleck ist", sondern nur ein Bauteil in einer neuen „Bildkomposition, die nicht stören wird".

Ein seltsamer Kompromiss : Zwei Kilometer flussaufwärts vom Landtag hört man die Maschinen kreischen, die grünen Elbwiesen sind mit Bergen von Sand, Rohren und anderem Baumaterial bedeckt. Längst haben Bauarbeiter Fundamente für die Brückenpfeiler gegossen, Straßenumgehungen wurden gebaut, bald soll der Stahl geliefert werden. „Die Arbeiten liegen voll im Zeitplan", sagt Orosz.

Die Waldschlösschenbrücke dürfte die teuerste Stadtquerung werden, die je in Deutschland gebaut wurde: Zwar sind bislang „nur" 160 Millionen Euro veranschlagt, angesichts der gestiegenen Stahlpreise dürfte der Preis Experten zufolge jedoch auf 200 Millionen Euro steigen. Und der Preis, den die Aberkennung des Welterbetitels kostet, dürfte unermesslich sein: Dresden wäre weltweit erst die zweite Stätte, die dieses Urteil hinnehmen muss - nach einem Wildschutzgebiet im arabischen Oman. Deutsche Welterbe-Aspiranten wären wohl auf längere Sicht nicht mehr allzu gut angesehen bei der Unesco.

Und so reist Orosz nun nach Sevilla, um den Delegierten dort ihren „Kompromissvorschlag" schmackhaft zu machen. Zwei Minuten darf sie reden, in dieser Zeit will Orosz erklären, warum das Welterbe- Komitee bitte Rücksicht darauf nehmen möge, dass der Brückenbau für Dresden unumgänglich sei. „Es ist das erste Mal, dass das Stadtoberhaupt persönlich an einer Sitzung des Weltberbe- Komitees " , unterstreicht die Kommunalpolitikerin die Bedeutung ihres Auftritts in dem internationalen Gremium.

Beim Deutschen Kulturrat glaubt man dagegen nicht, dass der Titel noch zu retten ist. Zudem sei der drohende Verlust keine lokale sondern eine nationale Angelegenheit, sagte Geschäftsführer Olaf Zimmermann. „Die Hoffnung stirbt zuletzt", kommentierte OB Orosz derweil ihre Reise. Auch bei einer Aberkennung werde Dresden weiter selbstbewusst agieren. Ihre Kostümwahl in Sevilla, so darf man vermuten, dürfte wieder selbstbewusst sein.
Von Christiane Kohl