Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 20.06.2009

Tillich in Bedrängnis

Schicksalssinfonie für Blockflöten
 
Das Buch sei keine Anklageschrift. Es beschreibe auch keine Täter. Ein Kreuzzug sei es auch nicht, sagte der sächsische SPD-Abgeordnete Cornelius Weiss am Freitag, als er in Dresden das Buch seines Landtagskollegen Karl Nolle vorstellte: "Sonate für Blockflöten und Schalmeien." Untertitel: "Zum Umgang mit der Kollaboration heutiger CDU-Funktionäre im SED-Regime". Das Buch ist ein Gemetzel auf 335 Seiten.

Wer solche Koalitionspartner hat, braucht keine Feinde. Karl Nolle, der 64-jährige SPD-Politiker aus Dresden, rechnet mit Partner CDU in einer Weise ab, die die komplette Opposition verstummen lässt.

Der Tonfall ist der des eitlen Eiferers, dem vor Zorn der Stift bebt: "Abgesang auf Doppelmoral, Einäugigkeit, Heuchelei und Pharisäertum der patentierten Christen in Sachsen und anderswo", heißt es da. Aber zwischen den Buchdeckeln quillt nicht nur ungestümer Zorn hervor.

Nolle tischt auch neue Anschuldigungen gegen Stanislaw Tillich auf: Der CDU-Ministerpräsident soll als Ratsmitglied des Kreises Kamenz noch 1989 an Enteignungen mitgewirkt haben. In einem Fall, am 6. Juli 1989, sei einem Eigentümer ein Flurstück genommen worden.

Angeblich 30 Manipulationen in Tillichs Biografie

In einem anderen Fall am 7. Dezember 1989, also nach dem Fall der Mauer, sei es um ein Haus gegangen, dessen Eigentümer längst in Baden-Württemberg lebte. "So wurden selbst glatte Karrieristen und vermeintliche Mitläufer zu respektablen Trägern des Systems", spottet Nolle.

Auf den 50-jährigen Tillich, der bei der Landtagswahl am 30. August im Amt bestätigt werden möchte, hat sich Nolle seit Monaten eingeschossen. Auch an der Demontage der aus dem Westen importierten Vorgänger Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt hatte der aus Hannover nach Sachsen eingewanderte Druckereibesitzer Nolle erheblichen Anteil.

Bei Biedenkopf ging es um seinen Dienstsitz und Rabattfeilschereien bei Ikea. Milbradt ging mit seiner Landesbank unter. Dem Ostdeutschen Tillich dreht Nolle einen Strick aus seiner Zeit als kleiner Block-CDU-Funktionär: Nicht Tillichs DDR-Biografie sei eine Schande, sondern sein Umgang damit.

30 Manipulationen in Tillichs Biografie will Nolle entdeckt haben. 105 Fragen zum Lebenslauf des sächsischen Christdemokraten hat Nolle der Landesregierung gestellt - und wartet auf Antworten. "Tillich hat mehr als nur Mangel verwaltet", sagt Nolle über sein neuestes Forschungsobjekt, "es hat Beschlüsse zur Wehrertüchtigung gegeben. Er hat an Enteignungen teilgenommen." Sieben bis acht verschiedene Lebensläufe habe Tillich über sich in Umlauf gebracht. Nolle: "Sie finden alles darin, nur nicht die Wahrheit."

Für die CDU ist Nolle ein Alptraum

Weil Nolle Nolle ist, ein Mann, den Wut und Zorn fortreißen können, baut er in seine Buchvorstellung gleich noch die Rücktrittsforderung an den Regierungspartner ein: "Ein Ministerpräsident, der nicht wahrhaftig mit seiner Biografie umgeht, ist fehl am Platze."

Nicht nur der bekommt sein Fett weg. Ob Startrompeter Ludwig Güttler, Ex-Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer (aus Nolles Sicht ein Beispiel dafür, wie jemand vom Täter zum selbsternannten Rächer wurde), ob Veronika Tillich, die Ministerpräsidentengattin und "politischer Instrukteur der CDU-Kreisleitung", alle finden sich in Nolles Buch wieder, als "Karrieristen, Wendehälse, Janusköpfe".

Für die CDU ist Nolle ein Alptraum. Für einige Sozialdemokraten auch. Wie ungeschickt die CDU auf ihn und Nachfragen nach Tillichs Biografie reagiert, zeigt eine "innerbehördliche Anweisung" des Bautzener Landrates Michael Harig an das Kreisarchiv Kamenz, auf die Nolle genüsslich hinwies. "Im Falle einer Recherche in den Ratsdokumenten", heißt es darin, sei "unverzüglich die Staatskanzlei zu informieren."
VON BERNHARD HONNIGFORT

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Blockparteien

In der DDR gab es neben der herrschenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) mehrere Blockparteien. Der Name geht auf den antifaschistisch-demokratischen Block vom Juli 1945 zurück.

CDU, LDPD, NDPD und Bauernpartei vertraten weitgehend die selben Ziele wie die SED, sollten aber einen nicht vorhandenen Pluralismus vortäuschen und dadurch die SED-Alleinherrschaft verschleiern. Eine eigenständige Politik zu machen war Blockparteien nicht gestattet.