Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 23.06.2009
Funde im Archiv Kamenz sorgen für Rätselraten
Regierungschef Tillich soll 1989 zwei Enteignungen mitgebilligt haben. Doch die Akten sind unvollständig.
In der Debatte um die DDR-Vergangenheit von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) rückt der Umgang mit Akten der früheren Kreisverwaltung Kamenz in den Vordergrund. In vier Kisten sind heute Unterlagen aus jener Zeit archiviert, in der Tillich als Stellvertretender Vorsitzender für Handel und Versorgung der Kreisverwaltung ab dem Frühjahr 1989 bis Mitte 1990 angehörte. Die Tageszeitung „Die Welt“ stieß in dem Archiv jetzt auf Dokumente, aus denen hervorgeht, dass Tillich bei zwei Enteignungen, die im Juli und im Dezember 1989 vom Rat des Kreises Kamenz bestätigt wurden, zumindest billigend mitgewirkt hatte. Dabei ging es um ein Grundstück sowie um ein Haus einer 1947 in den Westen gezogenen Familie. Beides wurde im Wendejahr zu Volkseigentum erklärt.
Staatskanzlei unter Verdacht
Zwei Vorgänge, die Tillichs Staatskanzlei seit einigen Monaten bekannt sind. So hatte man dort bereits im Herbst 2008 einen Mitarbeiter beauftragt, die Unterlagen im Kamenzer Archiv durchzusehen. Ein Umstand, der nun als brisant gilt, seit feststeht, dass ein Teil der Dokumente zu den Enteignungen nicht mehr vollständig ist. Sowohl die Staatskanzlei als auch das für das Archiv zuständige Landratsamt Bautzen erklären jedoch, keine Unterlagen entnommen zu haben.
Das Landratsamt sieht sich zudem Vorwürfen ausgesetzt, weil es die Staatskanzlei noch während der Akteneinsicht der Tageszeitung über deren Recherchen informierte. Der Bautzner Landrat Michael Harig (CDU) verwies gestern auf interne Regelungen seiner Behörde, wonach eine „Unterrichtung Betroffener“ im Fall der Akteneinsicht durch Dritte seit Langem üblich sei. Er selbst sei aber erst im Nachhinein über den Vorfall informiert worden. Aktuell ist die Nutzung des Archivs wegen im Herbst 2008 begonnener Sanierungsarbeiten eingeschränkt. Die Öffentlichkeit habe absehbar erst ab September wieder vollen Zugang, heißt es.
Von Gunnar Saft