Karl Nolle, MdL
Freitag - Die Ost-West- Wochenzeitung, 04.06.2009
Der gejagte Jäger - Der SPD-Mann Karl Nolle kritisiert in seinem Buch die "Verwurzelung" der sächsischen CDU "im SED-Regime".
Nicht alle Sozialdemokraten sind darüber begeistert
Dieser Satz war durchaus als Drohung zu verstehen: „Und wenn ich auf dem Zahnfleisch krieche“, warnte Karl Nolle, „dieses Buch wird erscheinen.“ Gerade war wieder ein Termin verstrichen, zu dem „dieses Buch“ hätte vorgestellt werden sollen. 250 Seiten dick, ein Blasinstrument auf dem Titel, dazu der poetisch klingende Titel „Sonate für Blockflöte und Schalmeien“.
Musikalisch-harmonische Töne sind von Nolle allerdings nicht zu erwarten, eher Paukenschläge. Es gehe, so der Untertitel des geplanten Werkes, um die „nicht aufgearbeitete Geschichte der Staatspartei CDU und ihre tiefe Verwurzelung im SED-Regime“. Die Worte lassen ahnen, warum in Sachsen, wo die CDU seit 1990 regiert und im August ein neuer Landtag gewählt wird, kaum eine Neuerscheinung derzeit mit größerer Spannung erwartet wird als Nolles Publikation.
Für den 64-jährigen Inhaber einer Dresdner Druckerei soll das Buch so etwas wie die Krönung von zehn Jahren ganz privater Oppositionsarbeit werden. Seit er 1999 in den Landtag einzog, nimmt es der schwergewichtige Sozialdemokrat mit der Kontrolle der Regierung überaus ernst und treibt die Mächtigen der CDU vor sich her. Zunächst jagte der Mann, der von Journalisten gern „Wühlmaus“ oder „Rammbock“ genannt wird, den „kleinen König“ Kurt Biedenkopf mit Details zu einer Mietaffäre, bis dieser entnervt hinwarf; dann trug er dazu bei, dass dessen Nachfolger Georg Milbradt den Notverkauf der maroden Landesbank politisch nicht überlebte.
Mit dem Buch nun will Nolle zum ganz großen Schlag ausholen und sich nicht mehr nur den Ministerpräsidenten zur Brust nehmen, auch wenn Amtsinhaber Stanislaw Tillich dem Vernehmen nach ein ganzes Kapitel gewidmet sein soll. Daneben aber geht es um zahlreiche weitere sächsische Unionspolitiker – von Ministern und Abgeordneten bis zu Landräten und dem Chef-Polizisten im Land. Viele dieser CDU-Funktionäre gehörten, so Nolles These, bereits zum Machtapparat in der DDR – aber sie stehen nicht dazu. Vielmehr werde die Schuld an den Fehlern der DDR allein auf die heutige Linkspartei abgewälzt.
Familiärer Hang zum Opportunismus
Für die Union sind derlei Erinnerungen im Wahljahr höchst unangenehm – unterminieren sie doch den Versuch, mit einer Debatte um den „Unrechtsstaat“ DDR die Linke vor sich her zu treiben und die SPD zu dieser auf Distanz zu halten. CDU-Politiker suchen den Angriff abzuwehren, indem sie ihn als Attacke eines im Westen Geborenen auf Ostbiografien geißeln. Die Strategie ist, wie Leserbriefe in sächsischen Zeitungen belegen, durchaus erfolgreich, obwohl der aus Hannover stammende Nolle immer wieder betont, es gehe ihm nicht um ein Verdikt über DDR-Biografien, sondern um die „Heuchelei der Schwarzen“.
Pikant an solch verbalen Grätschen Nolles ist, dass er formal inzwischen mit den Schwarzen verbündet ist: 2004 wurde die auf demütigende 9,8 Prozent gestutzte SPD von der gleichfalls böse gerupften CDU in eine Koalition geholt. Nolle aber bohrt unbeirrt weiter, stichelte in der Affäre um den „Sachsen-Sumpf“ gegen CDU-Minister – und veranlasst die CDU so zu dem Urteil, Teile der SPD seien nie in der Regierung angekommen, weshalb man künftig mit der FDP koalieren will. Es verwundert daher wenig, dass sich auch in den eigenen Reihen die Begeisterung über Nolles Wirken oft in Grenzen hält. Der Mann, der sich auf seiner Homepage reichlich unbescheiden als „Querdenker und kritischer Geist“ vorstellt, warnt seine Genossen seinerseits vor Unterwürfigkeit. Vor seiner Zeit, ätzte er, habe es nur eine „königlich-sächsische Hof-Opposition“ in Sachsen gegeben. Und auch in der Koalition müsse sich die SPD teurer verkaufen.
Ihr gelegentlicher Hang zum Opportunismus ist nicht die einzigen Grund, der Nolle hin und wieder an seiner Partei verzweifeln lässt. Zwar ist er Sozialdemokrat mit Herz und Seele – schon in vierter Generation: Der Urgroßvater saß wegen illegalen Plakatierens im Zuchthaus, der Großvater verlor nach einem Aufruf zum 1. Mai seine Stelle, beide Eltern waren engagierte Genossen. Nolle selbst trat mit 18 in die Partei ein – flog aber 1986 wieder raus, weil er dazu aufgerufen hatte, mit der Zweitstimme die Grünen zu wählen. Kurz darauf regierte in Hessen Rot-Grün. Nolle sagt gern, es sei leichter, mit der Partei zu irren, als gegen sie Recht zu haben. Wieder aufgenommen wurde er 1998. Die Freude währte nicht lange; am Kurs der Agenda 2010 litt der einstige Vize von Gerhard Schröder bei den Hannoveraner Jusos wie ein Hund. In der Partei, klagte er einmal, gebe es zu viele SPD-Mitglieder und zu wenige Sozialdemokraten.
Seine sächsischen Genossen sind angesichts solcher Spitzen nicht immer glücklich mit Nolle; bei der größeren Regierungspartei jedoch weckt er heftige Gegenreaktionen. In diese Kategorie ordnet Nolle selbst ein Ermittlungsverfahren ein, das ihm wegen angeblichen Subventionsbetrugs angekündigt wurde, und zwar nur Tage vor der geplanten Premiere seines Buches. Der Unternehmer, heißt es, habe zu Unrecht Beihilfen beantragt. Nolle bestreitet die Vorwürfe, Staatsanwälte sehen nur einen vagen Anfangsverdacht. Dennoch erfuhr die Presse umgehend davon. CDU-Granden hätten, so wird kolportiert, schon vor Wochen frohlockt, endlich habe man Nolle. Der machte kein Hehl daraus, dass das Verfahren seiner Ansicht nach „politischen Charakter“ hat – musste sich aber dennoch zunächst der „Verteidigungsschlacht“ widmen, statt weiter am Blockflöten-Buch zu schreiben. Hoffnungen, er werde das Vorhaben womöglich zu den Akten legen, wischte er indes vom Tisch: Er werde das Buch vollenden – notfalls, wie gesagt, auf dem Zahnfleisch. Derzeitiger Publikationstermin: Anfang Juni.
Hendrik Lasch