Karl Nolle, MdL

Junge Welt (jw), 26.06.2009

»Nicht im Rechtsstaat angekommen«

Blockadehaltung der Landesregierung in Dresden verhinderte Aufklärung des »Sachsensumpfes«. Teile der CDU und der Justiz agieren vordemokratisch. Ein Gespräch mit Karl Nolle (SPD), Mitglied des Sächsischen Landtages
 
Der Sächsische Landtag debattiert heute über den Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses zum sogenannten Sachsensumpf, demzufolge hochrangige Politiker, Juristen und Polizeibedienstete in Kinderprostitution, Mordanschläge, dubiose Immobiliengeschäfte und Amtsmißbrauch verstrickt gewesen sein sollen. Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit des Ausschusses?

Wegen der permanenten Blockadehaltung der CDU sind wir nicht zu einem vernünftigen Ende gekommen. Und es fällt ins Auge, daß kein unabhängiges Gericht sich bisher mit dem Sachsensumpf beschäftigt hat und allenfalls die Staatsanwaltschaften – und unter diesen vor allem die örtlich gar nicht zuständige Staatsanwaltschaft Dresden – tätig geworden sind. Es geht eigentlich nur um den Schutz des Staates vor der üblen Nachrede des Sumpfes. Das heißt Schutz vor den Ermittlern, Zeugen, Journalisten, Abgeordneten und allen anderen, die überhaupt erst für möglich halten, daß in Leipzig etwas Ungesetzliches passiert sein könnte.

Das scheint mir der eigentliche Weg in den Sumpf zu sein, und diesen müssen wir beschreiten, um die Urheber des Sumpfes fassen zu können und um diesen wirklich trocken zu legen. Wir sollten uns dann nicht wundern, wenn unter diesem Sumpfpflegern sogar Staatsanwälte zu finden sind, die sich bei Polizisten Strafanträge zu besorgen versuchen, um Journalisten verfolgen zu können. Hier in Dresden gibt es einige Spezialisten in diesem Metier. Sie verstehen auch etwas von der Verfolgung Unschuldiger und finden hierfür den Schutz ihrer Vorgesetzten bis hinein ins Justizministerium.

Wen wundert es, hat doch der frühere Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) bereits nach Studium des Aktenmaterials festgestellt, daß alles nur heiße Luft sei. Wer wollte »Generalstaatsanwalt Milbradt« widersprechen? Doch da sind wir schon beim Problem: Warum läßt man die Justiz nicht endlich die Arbeit machen, für die sie geschaffen ist? Diese und andere Fragen werden uns über die Wahl hinaus in die nächste Legislaturperiode begleiten und werden selbstverständlich Gegenstand der Wahlauseinandersetzung sein.

Es wirkt, als würden alle Kritiker des Kurses der Staatsregierung mit wundersam anmutenden Verfahren überzogen …

In diesem Zusammenhang fällt eine Verrohung des Umgangs der sächsischen Staatsanwaltschaft mit dem Institut des Ermittlungsverfahrens auf. Das Ermittlungsverfahren selbst wird bereits zur Strafe eingesetzt, z. B. gegen Zeugen, Journalisten und Ermittler, was nichts anderes bedeutet, als daß ein strafprozessuales Instrument mißbraucht wird. Denn Strafe darf im freiheitlich demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich nur vom Richter verhängt werden, nicht aber vom Staatsanwalt. Im übrigen denken diejenigen zu kurz, die es für besonders trickreich halten, denn wenn es so weitergeht, wird es im Freistaat Sachsen zum guten Ton gehören, ein Ermittlungsverfahren bei den Mackenroths (Geert Mackenroth, CDU-Justizminister Sachsen, die Red.) und Schwürzers (Wolfgang Schwürzer, Oberstaatsanwalt, die Red.) zu haben, denn wer von den richtigen Leuten verfolgt wird, darf sicher sein, daß er ein rechter Kerl ist. Und bestraft werden kann er ohnehin nur, wenn sich ein unabhängiges Gericht findet, was die Mackenroths und die Schwürzers offenbar zu fürchten haben, wie der Teufel das Weihwasser.

Also hat der Umgang von Staatsregierung, Staatsanwaltschaft und manchen Medien mit dem Phänomen »Sachsensumpf« der Demokratie geschadet?

Teile von Staatsregierung, Justiz, Staatsanwaltschaft und Polizei sind leider noch nicht im Rechtsstaat angekommen. Wenige Medien haben Courage und Unabhängigkeit gezeigt. Im Vergleich zum heutigen Sachsen ist Bayern ein Hort des Liberalismus.

Die Oppositionsparteien haben sich für eine Neueinsetzung des Untersuchungsausschusses nach der Landtagswahl am 30. August ausgesprochen. Teilen Sie diese Forderung?

Da wir die Probleme nicht hinreichend ausermitteln konnten bleibt für eine Neuauflage des Untersuchungsausschusses noch viel zu tun.

Mit Ausnahme Ihrer Person wird die sächsische SPD als Schoßhündchen der CDU wahrgenommen. Auch in Sachen Aufklärung der mafiösen Strukturen hat sich die SPD keineswegs mit Ruhm bekleckert. Warum hat sich Ihre Partei nicht von der CDU emanzipiert und gegebenenfalls auf Neuwahlen gesetzt?

Die SPD als Partei ist keineswegs Schoßhündchen der CDU, auch wenn das nicht immer und bei jedem Genossen deutlich wurde. Es gibt unterschiedliche Politikstile: kämpferisch Kante und Erkennbarkeit zeigen, oder möglichst konfliktfrei über die Runden zu kommen. Wir müssen beides können: Kompromisse machen, wo es geht, und beißen, wo es notwendig ist. In Sachen Rechtsstaat und Demokratie plädiere ich für absolute Kompromißlosigkeit. Teile der CDU und der Justiz agieren immer noch vordemokratisch.

Ihre Partei hat bei vergangenen Kreistags- und Kommunalwahlen mancherorts um ein vielfaches schlechter abgeschnitten als die neofaschistische NPD. Warum bewirkt dieser Sachverhalt kein Umdenken?

Solches Lernen geht bei einer Partei leider nur im Schneckentempo und für meinen Geschmack viel zu langsam.

Spielten diejenigen CDU-Politiker, die nunmehr offensichtlich eine Aufklärung des »Sachsensumpfes« zu verhindern versuchten, selbst eine Rolle in den kriminellen Netzwerken?

Der sogenannte Sumpf ist die Beschreibung von Entwicklungen in Justiz, Polizei und Verfassungsschutz, die ausschließlich die bisherigen politischen Mächtigen, die Staatspartei CDU mit allen Ausprägungen zu verantworten hat. Da ist vieles über Jahre kräftig aus dem Runder gelaufen. Das Kind aber, das den christdemokratischern Regenten trotz seiner neuen Kleider als nackt bezeichnet, soll nun auch noch bestraft werden, weil es den Mund nicht halten will.

Sie gelten als scharfer Kritiker der Staatsregierung. Gerade haben Sie Ihr Buch »Sonate für Blockflöten und Schalmeien – Zum Umgang mit der Kollaboration heutiger CDU-Funktionäre im SED-Regime« vorgestellt. Welche Erkenntnisse haben Sie diesbezüglich über die Führungsebene der sächsischen CDU?

Die Führungseliten der sächsischen CDU sind durchmischt mit Kollaborateuren des SED-Regimes, mit prinzipienlosen Karrieristen, Blockflöten, Wendehälsen und Janusköpfen. Bis heute haben diese Seilschaften unangefochten die Mehrheit in der Partei. Stanislaw Tillich ist der einzige CDU-Ministerpräsident in Deutschland, der – selbst nach dem Bodenrecht der DDR – an rechtswidrigen Enteignungen und Willkürentscheidungen aktiv mitgewirkt hat. Da gibt es Dokumente der Schande. Das ruiniert seine und die Glaubwürdigkeit der CDU als Partei des Eigentums bis aufs Hemd. Politisch ist das nicht verjährt.

Wie glaubwürdig ist die Verteufelung der DDR durch die CDU vor diesem Hintergrund?

Wolfgang Tiefensee hat dazu gesagt, wer wie die Block-CDU gemeinsame Sache mit der SED gemacht hat, soll zu dem Thema die Klappe halten.

Kritiker werfen Ihnen vor, die Biographien der CDU-Funktionäre als Wahlkampfmanöver zu nutzen …

Der verschleiernde und unwahrhaftige Umgang mit den eigenen Biographien ist immer Gegenstand von politischen Diskussionen, Wahlkampf ändert daran nichts. Ministerpräsident Tillich wurde per Gerichtsbeschluß zur Auskunft verpflichtet. In seinen veröffentlichten Biographien sind über 30 biographische Manipulationen, die bis heute nicht ausgeräumt sind. Nicht die Biographien sind eine Schande, sondern der Umgang damit.

Die Staatsanwaltschaft Dresden hat Ermittlungen wegen Subven­tionsbetruges gegen Sie eingeleitet, woraufhin Ihre Immunität als Landtagsabgeordneter im April aufgehoben wurde. Wie erklären Sie sich diese Vorgänge?

Das ist eine schäbige, durchsichtige politische Intrige von ganz oben, die die Gefährdung von 70 Arbeitsplätzen meines Unternehmens billigend in Kauf nimmt. Am Schluß geht der Schuß nach hinten los. Es geht nicht mehr um unterschiedliche politische Meinungen, sondern um eine neue Qualität der Auseinandersetzung, nämlich wirtschaftlichen Schaden bei mißliebigen Gegnern zu verursachen oder diesen in Kauf zu nehmen. Damit man den Gegner, wenn man ihn politisch schon nicht besiegen kann, doch auf diese andere Weise aus dem Feld schlagen kann.

Über wieviel Rückhalt verfügen Sie derzeit in der eigenen Partei?

Ich bin mit 89 Prozent von mehreren Landesparteitagen nominiert und gewählt worden. Mehr würde mich mißtrauisch machen.

Hoffen Sie auf eine Mehrheit von Linkspartei, Grünen und SPD nach der Wahl?

Hoffnungen darf man ja getrost haben, aber ich sehe nicht, daß es absehbar, unabhängig vom Wahlergebnis, in den drei Parteien eine entwickelte Fähigkeit gibt, dies auch politisch umzusetzen.

Interview: Markus Bernhardt

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Von Karl Nolle erschien in diesem Monat das Buch »Sonate für Blockflöten und Schalmeien – Zum Umgang mit der Kollaboration heutiger CDU-Funktionäre im SED-Regime« (336 Seiten, 9,80 Euro. ISBN 978-3-00-028062-7)