Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 02.07.2009

Tillich geht in die Offensive

Nach langem Schweigen hat sich Sachsens Regierungschef erneut zu seiner Rolle in der DDR geäußert
 
Dresden. In einer Blitzaktion lud Regierungschef Stanislaw Tillich (CDU) gestern zur Pressekonferenz. Es habe sich „kurzfristig ein Zeitfenster“ ergeben, hieß es aus der Staatskanzlei. Dass dieses sich öffnete, hatte einen einfachen Grund: Vor nahenden Gerichtsentscheidungen im Streit um Dienst-Kontakte zum MfS wollte Tillich in die Offensive gehen – und seine Position im Wahlkampf verbessern. Tenor: Er habe sich nichts vorzuwerfen, ein Ruhmesblatt aber sei es nicht gewesen.

Im Grunde ist es Regierungschef Tillich seit langem leid. Er habe sich Ende November 2008 zu seiner DDR-Vita ausführlich erklärt, sagte er gestern, und durch ständige Wiederholung werde die Sache nicht anders. Damals kursierten erste Vorwürfe zu seiner Rolle in der Block-CDU, und Tillich räumte zähneknirschend ein: „Meine Funktion im Rat des Kreises Kamenz ist kein besonderes Ruhmesblatt in meiner Biografie.“ Seitdem hat er diesen Satz nicht mehr in den Mund genommen – mit einer Ausnahme: gestern.

Erklärung in eigener Sache

Der Inhalt aber war nahezu identisch. „Ich beurteile das heute anders“, sagte Tillich zu seiner Funktion zu DDR-Zeiten, „natürlich würde ich das nicht mehr so tun“. Und: Auch sein Einsatz im damaligen Rat des Kreises sei Teil seiner Biografie. Dazu gehörten auch Enteignungen von Hausbesitzern im Jahr 1989. „Wenn im Protokoll nichts anderes steht, habe ich da mitgestimmt, das ist der Sachverhalt“, sagte Tillich. Doch klar sei ebenso: „Ich weiß, ich habe mir nichts vorzuwerfen.“

Strategie der Staatskanzlei

Dass sich Tillich gestern nochmal erklärte, hat weniger mit einer gravierend anderen Sachlage zu tun als mit einer einfachen Einsicht: Nur wer in die Offensive geht, kann im öffentlichen Raum punkten. Die Strategie seiner Berater in der Staatskanzlei aber bestand bisher darin, zu mauern und – bei Bedarf – vor Gericht zu ziehen. Dabei allerdings läuft auch ein Regierungschef Gefahr, politisch-moralisch Schaden zu nehmen. Das scheint Tillich erkannt zu haben.

Stasi als Sonderproblem

Seit Monaten gibt es einen erbitterten Streit um einen Fragebogen, den Tillich bei seinem Amtsantritt als Minister 1999 hat ausfüllen müssen. Dort wurde unter anderem nach einer möglichen Zusammenarbeit mit dem MfS gefragt. Nach bewährtem Muster aber weigert sich die Staatskanzlei, Auskunft über Tillichs Antworten zu geben. Dabei ist seit Herbst bekannt, dass er in mindestens zwei Fällen dienstliche Kontakte zur Stasi hatte. Vor allem überregionale Medien argwöhnen deshalb, er habe schriftlich gelogen. In wenigen Tagen wird sich ein Gericht positionieren, doch Tillich kam dem gestern zuvor. „Ich habe nie für das MfS gearbeitet“, sagte er, „die logische Folge für mich war, dass ich eine solche Frage verneine.“

Weiterer Streit

Damit ist diese Frage erstmals hochoffiziell geklärt, endgültig aus dem Schneider aber ist Tillich nicht. Denn in dem Bogen gibt es insgesamt vier Fragen zum Stasi-Thema, und die letzte lautet: „Haben Sie dienstlich oder sonstwie Kontakt zu genannten Stellen gehabt?“ Trotz zweier Dienstkontakte habe Tillich auch auf diese Fragen mit nein geantwortet, da er alle Fragen „im Kontext“ gesehen habe, hieß es hinterher als Erklärung aus der Staatskanzlei. Dennoch geht der Streit weiter.

Wahlkampf-Auswirkungen

Tillich und der CDU dürfte diese Debatte in Sachsen kaum schaden. Zwar gibt es bundesweit – vor allem im Westen – auch CDU-Politiker, die mit Stirnrunzeln reagieren. Die Landtagswahl aber wird in Sachsen entschieden. Das weiß auch Tillich. „Ich bin da gelöst“, sagte er gestern zur politischen Lage, „der SPD nützt das nicht“. Das war vor allem auf SPD-Mann Karl Nolle und dessen Buch über CDU-Blockflöten gemünzt. SPD-Chef Thomas Jurk hatte sich in den vergangenen Tagen teilweise von Nolle distanziert – und wurde gestern entsprechend gelobt. Er habe „Respekt“ vor Jurk, meinte Tillich, „Nolle disqualifiziert sich selbst“.
Von JÜRGEN KOCHINKE