Karl Nolle, MdL

Freie Presse, 03.07.2009

Das Tauziehen um die Vergangenheit von Stanislaw Tillichgeht weiter

Sachsens Ministerpräsident wegen zögerlicher Aufarbeitung seiner DDR-Ämter unter Druck — Koalitionspartner SPD: Debatte erweist dem Freistaat einen Bärendienst
 
Dresden. Ein Befreiungsschlag sieht anders aus. Mit den neuerlichen Erklärungen vom Mittwoch über widersprüchliche Angaben zu seiner Vergangenheit hat Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nicht die beabsichtigte Entlastung für sich und seine Partei geschafft, sondern mehr neue Fragen aufgeworfen und Zweifel ausgelöst.

Dabei hadert nun selbst der Koalitionspartner SPD mit Tillichs Salami-Taktik, scheibchenweise seine Verstrickung in das DDR-System preiszugeben. SPD, Grüne und Linkspartei sprachen gestern unisono davon, dass der Spitzenpolitiker derzeit sich und seinem Amt Schaden zufügt. In der CDU selbst wächst die Angst, das Thema bis zu den Wahlen nicht loszuwerden.

Tillich kommt nicht aus der Tretmühle, in die er vor acht Monaten geraten ist. Damals war erstmals öffentlich geworden, dass der Ministerpräsident in der späten DDR Stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises für Handel und Versorgung in Kamenz war — auch damals schon mit CDU-Parteibuch. Die Verwunderung,, dass man mit dieser Vergangenheit im Gegensatz zu vielen anderen Sachsen nach der Wende so schnell Karriere machen, konnte, nährte die Neugier über die Tiefe seiner Verstrickung in das alte System.

Seither gibt es ein verbissenes Tauziehen um Einzelheiten, das sich inzwischen auf Fragebögen des Ministerpräsidenten konzentriert. Die Fronten verhärteten sich, als sich die Sächsische Staatskanzlei aufs Mauern verlegte und juristischen Auseinandersetzungen den Vorzug gab. Ein großer Fehler, wie sich jetzt herausstellt. Bis heute sind Klagen anhängig: Das Verwaltungsgericht in Dresden will bis Mitte Juli entscheiden, am Oberverwaltungsgericht ,in Bautzen soll Ende Juli ein Urteil fallen. Die Richtersprüche sind fast zweitrangig, denn vier Wochen später beginnt der heiße Landtagswahlkampf.

Derzeit kulminiert der Konflikt um den Umgang mit DDR-Biogra fien. Hatte sich doch nach der Wende anhand zahlloser Einzelschicksale herausgestellt, wer beispielsweise Nomenklaturkader wie Tillich war, hatte kaum Chancen auf einen Job im Öffentlichen Dienst. An Tillichs Karriere hängt dazu der bisher unbewiesene Makel, Fragebögen nicht richtig ausgefüllt zu haben.

So hat jetzt Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Knast Berlin-Hohenschönhausen, gegenüber dem MDR erklärt, nach Tillichs eigenen Äußerungen zu dienstlichen Stasi-Kontakten als Ratsmitglied habe jener offenbar den Fragebogen falsch beantwortet, wofür sogar die „Beendigung des Dienstverhältnisses" drohte. Ahnlich äußerte sich auch Christoph Jestaedt, Richter am Verwaltungsgericht in Dresden und Mitglied im Landesarbeitskreis christlich demokratischer Juristen, gegenüber dem „Spiegel". Nach anderen Quellen soll Tillich zudem seine Funktion als Stellvertretender Ratsvorsitzender, seine Zugehörigkeit zur DDR-Nomenklatur sowie sein CDU-Kreistagsmandat nicht angegeben haben.

Für Antje Hermenau, Fraktionschefin der Grünen im Landtag, ver spielt Tillich seine persönliche Glaubwürdigkeit. „Es ist höchste Zeit mit den Lebenslügen Schluss zu machen", sagte sie gestern. Auch die Linke attackiert den Ministerpräsidenten, für den ”andere Maßstäbe als für Normalsterbliche" gelten, erklärte Fraktionsvize Klaus Tischendorf. SPD-Generalsekretär Dirk Panter forderte Tillich auf, endlich alle nötigen Informationen auf den Tisch zu legen. Die Debatte erweise „dem Ansehen Sachsens und des Amtes einen Bärendienst".
VON UWE KUHR