Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 07.07.2009

Tillichs Flucht nach vorn

Nach achtmonatigem Druck legt Ministerpräsident überraschend seinen Personalbogen offen
 
Dresden. Nach monatelangem Tauziehen hat Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) gestern seine umstrittene Personalerklärung zur DDR-Vita veröffentlicht. Die Opposition sieht ihren Vorwurf der Falsch-Aussagen bestätigt.

Acht Monate hat er gemauert, hat Antworten auf Fragen zu seiner Vita verweigert, hat sich auf Prozesse mit dem Spiegel und der Zeitung Die Welt eingelassen. Gestern nun die Kehrtwende: In der Bild-Zeitung lässt Tillich seinen kompletten Personalbogen veröffentlichen und liefert per Interview die Erklärungen gleich mit.

Die sind allerdings auch nötig, denn über mehrere Antworten auf die zehn Fragen lässt sich trefflich streiten. Neunmal hat Tillich schließlich verneint – auch auf Fragen nach Stasi-Kontakten, nach Funktionen in der DDR-Nomenklatur und nach Mandaten für Parteien.

Dabei ist längst bekannt, dass der heutige Regierungschef einst für die Ost-CDU Stellvertreter beim Rat des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung war, und auch mindestens zweimal Besuch von der Stasi bekam. Einmal ging es um ein aufgebrochenes Siegel an seiner Bürotür, einmal um die mangelnde Brotversorgung. Doch diese Begegnungen seien „ungeplant und unausweichlich“ gewesen, sagt Tillich. Die Herren seien „urplötzlich und unangemeldet“ aufgetaucht. „Ein dienstlicher Kontakt sieht anders aus“, meint der Regierungschef. Die Fragen nach der Nomenklatur habe er verneint, weil er dazu nicht „berufen“ worden sei, worauf der Fragebogen aber abhebt.

Das heikle Papier hat der 50-Jährige am 2. November 1999 bei seinem Amtsantritt als Minister unter Regierungschef Kurt Biedenkopf (CDU) ausfüllen müssen. Dass er solange mit der Veröffentlichung zögerte, erklärt er in der Boulevardzeitung mit „rein menschlichen Gründen“. Die ganze Geschichte sei „Teil einer Kampagne“, eigentlich eine „reine Privatsache“ und zudem habe er Sorge gehabt, „dass die Wahrheit verdreht wird“. Zugleich bereitet Tillich seine Leser darauf vor, dass da noch mehr kommen kann. „Ein von mir unterzeichneter Brief mit sozialistischem Gruß“ oder Fotos von ihm, „wo im Hintergrund Erich Honecker an der Wand hängt“.

Dass noch mehr kommen könnte, machte SPD-Mann Karl Nolle gestern deutlich: Er trug Dokumente zusammen, die insgesamt fünf Enteignungen belegen sollen, „an denen der Ministerpräsident mitgewirkt hat“. Es geht um Grundstücke, die noch im Oktober 1989 in Volkseigentum übergingen. Bisher waren nur zwei Fälle bekannt. „Wie lange will Tillich das Märchen seiner Biografie noch erzählen?“, fragt Nolle.

Dabei versucht der CDU-Spitzenkandidat Tillich acht Wochen vor der Landtagswahl endgültig die Flucht nach vorn anzutreten. Bei Parteifreunden wurde die Offenheit des CDU-Chefs allerdings mit Verwunderung aufgenommen. „Ein paar Monate früher, und er hätte sich eine Menge Ärger ersparen können“, sagte ein bekannter CDU-Funktionär.

Die Beantwortung des Personalbogens ist nicht ohne Sprengstoff: Unwahre Antworten können „zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen”, heißt es im Fragebogen. Für den Vize-Fraktionschef der Linken im Landtag, Klaus Tischendorf, hat Tillich aber sogar viermal gelogen. „Er wäre eigentlich längst aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden. Was sagt er den Menschen, die wegen geringerer Systemnähe keine Chance im öffentlichen Dienst haben?“ Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau hat indes den Eindruck, „dass der Ministerpräsident Schwierigkeiten hat, mit der eigenen Vergangenheit umzugehen“. So verspiele er „seine persönliche Glaubwürdigkeit“.
Von SVEN HEITKAMP
> Enteignungsexperte Stanislaw Tillich - Die CDU als Partei des Eigentums und Tillichs Mitwirkung an 5 Enteignungen in 1989