MDR Online, 09.05.2001
Biedenkopf-Affären
Juni 2000 bis Mai 2001
Mai 2001
Die Gattin des sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf (CDU) soll einem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge im Gästehaus der Staatskanzlei Jahre lang eine "schwarze Kasse" geführt haben. Das Blatt beruft sich dabei auf den wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion,
Nolle. In diese "Handkasse" hätten Minister und Staatssekretäre Beiträge für Essens- und Personalkosten eingezahlt, wenn sie im Gästehaus logierten. Diese hätten Nolle zufolge an die Landeskasse abgeführt werden müssen. Das sei aber nicht passiert.
Am gleichen Tag lehnt Biedenkopf einen Rücktritt ab und fordert vom Finanzministerium bis zum Ende des Monats "unmissverständliche und unanfechtbare" Regeln für die Nutzung von Dienstwohnung, -wagen, und -personal. Die PDS fordert eine Landtagssitzung, in der Biedenkopf abgesetzt werden soll.
April/Mai 2001
Die regierende CDU vermutet hinter den Vorwürfen gegen Biedenkopf und Frau eine gezielte Aktion, um den Ministerpräsidenten zu diffamieren. "Das ist eine unwürdige und üble Kampagne", fasst Generalsekretär Kupfer (CDU) eine Debatte in der Fraktion zusammen. Aus welcher Ecke diese Aktion kommt - darüber wollte Kupfer nicht spekulieren.
Landtagspräsident Iltgen (CDU) wies unterdessen Berichte der "Sächsischen Zeitung" zurück wonach sich der Haushalts- und Finanzausschuss des Landtages mit den Mietzahlungen von Ministerpräsident Biedenkopf befassen soll.
April/Mai 2001
Biedenkopf gerät wegen seiner Dienstwohnung in dem Gästehaus der sächsischen Staatsregierung unter politischem Druck. Er soll zu wenig Miete bezahlen. Ein Bericht der Staatskanzlei entlastet Biedenkopf: Seine Wohnung sei kleiner als angenommen. Außerdem müsse man die allgemeine Mietpreisbindung zu Grunde legen. Die PDS-Opposition fordert einen Untersuchungsausschuss, um zu klären, ob der Ministerpräsident zu wenig Miete zahlt. Sie kritisiert den Bericht der sächsischen Staatskanzlei.
April 2001
Neue Kritik an der Familie Biedenkopf: Die "Dresdner Morgenpost" berichtet über Verschwendung von Steuergeldern. Offenbar wird die Putzfrau der Biedenkopfs aus dem Staatshaushalt bezahlt. Die SPD kündigte daraufhin eine Prüfung an. Biedenkopf und seine Frau Ingrid wohnen in einer 1983 als Gästehaus der Staatssicherheit der DDR errichteten Villa. Das Gebäude dient heute zugleich als Gästehaus der Staatsregierung. Nach Zeitungsangaben stehen die Putzfrau und fünf weitere Beschäftigte der Villa auf der Gehaltsliste der Staatskanzlei. Im Stellenplan seien diese Mitarbeiter versteckt, der Arbeitsort sei nicht erkennbar, schreibt das Blatt. Regierungssprecher Sagurna sagte der Zeitung, die Mitarbeiter kosteten dieses Jahr rund 300.000 Mark. Im Stellenplan seien sie unter der Rubrik "Innerer Dienst, Liegenschaften der Staatskanzlei" ausgewiesen.
SPD-Fraktionschef Jurk erklärt, es müsse herausgefunden werden, in welchem Maße die in der Dienstvilla des Ministerpräsidenten beschäftigten Mitarbeiter auch für den Privathaushalt der Biedenkopfs aktiv sind. Wer 1.857,03 Mark monatliche Warmmiete für ein Anwesen mit 15 Zimmern bezahle, dem müsse klar sein, dass die Kosten für die Putzfrau darin nicht enthalten sind. Für sämtliche private Leistungen müsste auch privat bezahlt werden, forderte Jurk. Biedenkopf wurde in dem Zusammenhang aufgefordert, öffentlich zu den Fragen Stellung beziehen.
März 2001
Die sächsische FDP und die PDS-Landtagsfraktion fordern die Schließung des Büros von Ministerpräsidenten-Gattin Ingrid Biedenkopf. FDP-Landeschef Zastrow erklärt, das mit Steuergeldern finanzierte Büro sei weder demokratisch legitimiert noch notwendig. Die Landesverfassung sehe das Amt der "Ehefrau des Ministerpräsidenten" nicht vor. PDS-Fraktionschef Porsch kritisierte, Frau Biedenkopf sei an allen Verfassungsorganen vorbei in den Rang einer offiziellen Petitionsinstanz erhoben worden. Demokratische Institutionen würden durch persönliche Beziehungen ersetzt. Der FDP zufolge verschlingt das Büro von Frau Biedenkopf 1,2 Millionen Mark im Jahr. Ihr stünden ein Regierungsdirektor und weiteres Personal zur Verfügung. Ingrid Biedenkopfs Büro beschäftigt sich mit Eingaben und Bittbriefen von Bürgern.
März 2001
Die CDU-Fraktion will den sächsischen Datenschutzbeauftragten Giesen als Zeugen im Paunsdorf-Untersuchungsausschuss
vernehmen. Ein entsprechender Beweisantrag wurde gestellt. Giesen soll bei der Vernehmung über die von ihm geführten Untersuchungen im Fall Paunsdorf Auskunft geben. Der Obmann der CDU-Fraktion, Jahr, sagte, Giesen habe Akten eingesehen, die Gegenstand des Untersuchungsausschusses seien. Deshalb sei die Zeugenvernehmung das richtige Mittel, um den Ausschuss aus erster Hand zu informieren.
März 2001
Die SPD-Landtagsfraktion will prüfen lassen, ob Ministerpräsident Biedenkopf zu Recht Einblick in alle Akten des Paunsdorf-Untersuchungsausschusses vor seiner Zeugenvernehmung erhalten hat. Ein entsprechendes Rechtsgutachten will der SPD-Ausschussvorsitzende Nolle anfordern.
Februar 2001
Ex-Finanzminister Milbradt hat erwartungsgemäß seinen ehemaligen Chef Biedenkopf in der Paunsdorf-Affäre entlastet. Der CDU-Politiker sagte vor dem Untersuchungsausschuss, dem Freistaat sei durch die Anmietung des Behördenzentrums in Leipzig-Paunsdorf kein finanzieller Schaden entstanden. Unter den damaligen Umständen sei die Entscheidung richtig gewesen. Die damals mit dem Kölner Bauunternehmer Barth ausgehandelten Mietkonditionen hätten der Marktlage entsprochen und seien nicht überzogen gewesen.
Februar 2001
Biedenkopf bestreitet vor dem Paunsdorf-Untersuchungsausschuss jegliches Fehlverhalten. Er habe nur eine Großinvestition nach Leipzig holen wollen. Dem Land sei kein Schaden entstanden. Bisher unveröffentlichte Dokumente der Oberfinanzdirektion Chemnitz sollen den Ministerpräsidenten belasten, meldet das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Zudem sollen Vermerke des Staatlichen Liegenschaftsamts mit Sitz in Leipzig zeigen, dass bei der Anmietung des Bürozentrums zuständige Behörden umgangen worden seien.
Laut "Spiegel" geht aus diesen Vermerken hervor, dass das Liegenschaftsamt von einem persönlichen Referenten des Ministerpräsidenten und von einem Abteilungsleiter des Finanzministeriums zu dem Vertragsabschluss gedrängt worden sei. Das Gutachten der Oberfinanzdirektion belege, dass Rechtsvorschriften missachtet, keine Vergleichsangebote eingeholt und andere Immobilien nicht auf ihre Eignung zum Unterbringen der Behörden geprüft worden seien.
Februar 2001
Der Paunsdorf-Untersuchungsausschuss lehnt es ab, die Räume von Ministerpräsident Biedenkopf nach mutmaßlich zurückgehalten Akten zu durchsuchen. CDU-Ausschussmitglied Jahr sagte, die von der PDS angeführten Argumente seien zu ungenau formuliert gewesen. Vor einer Beschlagnahmung müssten alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um gewünschte Akten zu sichten.
Februar 2001
Die PDS-Landtagsfraktion fordert eine Sondersitzung des Paunsdorf-Untersuchungsausschusses. Sie kündigte an zu beantragen, mit Hilfe des Amtsgerichtes aus ihrer Sicht zurückgehaltenes Beweismaterial bei Ministerpräsident Biedenkopf beschlagnahmen zu lassen. Die PDS glaubt, dass einige Akten gesondert geführt wurden. Die Staatskanzlei hatte das schon früher dementiert. Zugleich dementiert die sächsische Generalstaatsanwaltschaft einen Zeitungsbericht, sie habe Ermittlungen gegen Ministerpräsident Biedenkopf in der Paunsdorf-Affäre behindert. Es habe keinerlei Eingriffe und Weisungen gegeben, sagte ein Sprecher der Ermittlungsbehörde.
Januar 2001
Die sächsische Generalstaatsanwaltschaft dementiert einen Zeitungsbericht, sie habe Ermittlungen gegen Ministerpräsident Biedenkopf behindert. Die "Leipziger Volkszeitung" hatte geschrieben, ihr liege ein Vermerk der Leipziger Staatsanwaltschaft vor, in dem die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft in Dresden von weiteren Ermittlungen in der so genannten Paunsdorf-Affäre abrate. In dem Papier vom März 2000 heiße es wörtlich, die Leipziger Staatsanwältin solle "gar nichts unternehmen. Man solle alles so lassen, wie es ist." Daraufhin hätten die Ermittler in Leipzig auf eine Vernehmung Biedenkopfs und eine mögliche Durchsuchung verzichtet.
Dezember 2000
Im Untersuchungsausschuss zur so genannten Paunsdorf-Affäre ist neuer Streit ausgebrochen. Die CDU setzt mit ihrer Mehrheit in diesem Gremium durch, Ministerpräsident Biedenkopf am 12. Februar 2001 vorzuladen. Einen Tag später soll Finanzminister Milbradt vernommen werden. Die SPD kritisierte den frühen Termin. Hier solle wohl Biedenkopf ein Persilschein ausgestellt werden, bevor alle Fakten auf dem Tisch liegen, sagte SPD-Obmann Nolle.
Oktober 2000
Der Paunsdorf-Untersuchungsausschuss fordert die Staatsregierung auf, alle Akten bis zum 15. Oktober zu übergeben. Andernfalls werde geklagt, kündigte der stellvertretende Ausschussvorsitzende Hahn (PDS) an. Er warf der Staatsregierung vor, dem Ausschuss wichtige Dokumente vorzuenthalten. Das ergebe sich aus der Liste der übersandten Unterlagen. Einige der 76 Aktenordner seien nicht vollständig, sagte Hahn.
September 2000
Ministerpräsident Biedenkopf soll sich stärker für den Mietvertrag im Leipziger Paunsdorf-Center eingesetzt haben als bislang angenommen. Die Dresdner Morgenpost schreibt, Biedenkopf habe Finanzminister Milbradt Einzelheiten für den Vertrag diktiert. Das Blatt beruft sich auf ein Schreiben vom Juli 1993, in dem Biedenkopf seinen Minister auffordert, den Vertrag schnell und mit einer Laufzeit von 25 Jahren auszufertigen. Außerdem soll er eine automatische Mietanpassung bei steigenden Lebenshaltungskosten vorgegeben haben. Der Büro-Komplex war von einem mit Biedenkopf befreundeten Kölner Bauunternehmer errichtet worden.
August 2000
SPD und PDS bezweifeln, dass der Untersuchungsausschuss Aufklärung schaffen kann. Nach der ersten Sitzung des Gremiums zur so genannten Paunsdorf-Affäre hat die Opposition das Verhalten der CDU-Mehrheit im Ausschuss scharf kritisiert. PDS-Geschäftsführer André Hahn sagte, die CDU sei gewillt, nahezu alles zu unternehmen, um die Arbeit des Gremiums de facto unmöglich zu machen. Der Obmann der SPD-Fraktion, Nolle, kündigte an, ein juristisches Gutachten in Auftrag zu geben, um prüfen zu lassen, ob die strittigen Verfahrensfragen überhaupt zulässig seien. CDU-Obmann Rasch wies die Vorwürfe als Scheingefechte zurück.
Juni 2000
Die Staatsregierung will nun doch eine Stellungnahme zu den umstrittenen Akten-Bewegungen im Zusammenhang mit der Arbeit des Paunsdorf-Untersuchungsausschusses abgeben. Dies geht aus einem Schreiben von Finanzminister Mildbradt (CDU) an die SPD-Fraktion hervor. Zuvor hatte die Staatsregierung die Forderung nach einer Stellungnahme abgelehnt. Nach Ansicht der SPD erhärtet die Vorgehensweise der Staatsregierung den Verdacht, dass es im Zusammenhang mit den Akten etwas zu verschwiegen gibt.
Mai 2000
Der Untersuchungsausschuss zur umstrittenen Vermietung des Leipziger Paunsdorf-Centers sorgt im Landtag für Wirbel. Die Opposition äußert den Verdacht, die Staatsregierung wolle brisante Akten bereinigen. Hintergrund ist eine Anordnung des Finanzministeriums an das Staatliche Vermögens- und Hochbauamt Leipzig, Akten für den im April eingesetzten Ausschuss zusammenzustellen. Der Verdacht wurde seitens der CDU sofort zurückgewiesen.
Mai 2000
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Paunsdorf-Center ist arbeitsfähig. Der Landtag wählte zuvor in geheimer Wahl zehn Abgeordnete als Mitglieder des im April eingesetzten Gremiums.
April 2000
Das sächsiche Parlament beschließt auf Antrag der PDS-Fraktion, dass sich ein Untersuchungsausschuss des Landtages mit den Vorgängen um das Paunsdorf-Center in Leipzig befassen wird. Die PDS will herausfinden, ob Ministerpräsident Biedenkopf (CDU) und weitere Regierungsmitglieder auf den Abschluss von Mietverträgen Einfluss nahmen und dem Land somit Schaden entstand.
Februar 2000
Nach der PDS dringt auch die SPD darauf, die Hintergründe zur Vermietung des Leipziger Paunsdorf-Centers aufzuklären. Die Fraktion bereitet 20 Fragen an die Regierung vor. Damit sollte geklärt werden, warum sich Ministerpräsident Biedenkopf (CDU) für den Kölner Großinvestor Barth und die Vermietung von Räumen an Landesbehörden im Paunsdorf-Center eingesetzt habe. Die PDS-Fraktion hatte zuvor beschlossen, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen.
Der Bürokomplex neben dem Einkaufszentrum Paunsdorf-Center war von der Baufirma des mit Biedenkopf befreundeten Unternehmers Barth errichtet worden. Für das 56.000 Quadratmeter große Gelände am Rande von Leipzig wurden 1992 nur 2,6 Millionen Mark bezahlt. Die PDS hält den sich daraus ergebenden Quadratmeterpreis von knapp 47 Mark für außergewöhnlich gering. Später mietete der Freistaat die gesamte Nutzfläche des Komplexes für 25 Jahre und zu einem Festpreis von 23,57 Mark/Quadratmeter, unabhängig davon, ob es sich um Büros, Korridore oder Toiletten handelt. Unter anderem fanden im Leipziger Osten der Rechnungshof, das Leipziger Polizeipräsidium und das Sächsische Staatsarchiv ihren Platz.
Der Landesrechnungshof hatte bereits 1996 überhöhte Mieten und langfristige Mietverträge gerügt und auf Zusatzbelastungen für die Steuerzahler von jährlich rund 1,35 Millionen Mark hingewiesen. Nach Auffassung der PDS entsteht dem Land dadurch ein Schaden von mehr als 100 Millionen Mark.
(08.05.2001 16:44)