Neues Deutschland, 09.05.2001
Nebelbomben um die »Pension Ingrid«
Kritik an Gutachten zur »Mietsache Biedenkopf«
DRESDEN. Sachsens Ministerpräsident Kult Biedenkopf (CDU) sucht Sündenböcke für seine Mietaffäre. Derweil gerät das Gutachten, dass Vorwürfe zu seiner Dienstwohnung entkräften sollte, zunehmend in die Kritik.
Kurt Biedenkopf geht zur Vorwärtsverteidigung über. Nachdem seit Wochen bundesweit über die Mietsituation in seiner Dienstwohnung und die private Nutzung des Personals im Gästehaus des Freistaates Sachsen durch den Regierungschef und dessen Frau spekuliert wird, äußerte sich der Ministerpräsident gestern erstmals selbst zu der Affäre, die er als »unmögliche Lage« für sich und seine Frau bezeichnete.
Schuld an dem Dilemma haben aus Biedenkopfs Sicht freilich nicht die quasihofstaatlichen Verhältnisse in der Dresdner Regierung, sondern zwei ihrer Ex-Mitglieder. Der im Januar geschasste Finanzminister Georg Milbradt und der vormalige Staatskanzleichef Günter Meyer hätten ihn 1994 nicht mit Vorwürfen des Rechnungshofes befasst, der für die »hotelähnliche« Unterbringung im Gästehaus Mietpreise von bis zu 93 Mark je Quadratmeter statt der jetzt gezahlten zwölf Mark Warmmiete für gerechtfertigt hielt. Davon habe er nichts gewusst, sagte Biedenkopf und verwies auf ein Schreiben Milbradts von 1997, wonach im Zusammenhang mit dem Gästehaus »alle Fragen geklärt« seien. Diese Zusicherung erweise sich jetzt als »nicht belastbar«, sagte Biedenkopf gestern. Er wolle sich nun gemeinsam mit Milbradt und Meyer um die »Rekonstruktion« der Vorgänge bemühen. Bis Ende Mai soll zudem eine »unanfechtbare abschließende Regelung« getroffen werden, um die Kritikpunkte abzustellen, die das vorige Woche vorgelegte so genannte Brüggen Gutachten auflistet.
Dieser Bericht hatte der Affäre um die Wohnung von Kurt Biedenkopf und dessen Frau zunächst eine überraschende Wendung gegeben. Während es zuvor hieß, das Ehepaar habe im Gästehaus der Staatsregierung über Jahre viel zu wenig Miete gezahlt und das Dienstpersonal teilweise ohne Bezahlung privat in Anspruch genommen, räumt der Bericht zwar Schlamperei bei Personaleinsatz und Abrechnung ein, was die „Bild“-Zeitung gar über »schwarze Kassen« spekulieren lässt. Miete jedoch habe Biedenkopf im Gegenteil sogar zu viel entrichtet. Schließlich, so die Gutachter, handle es sich bei dem Gästehaus in bester Elbhang-Wohnlage um mitpreisgebundenen Wohnraum.
»Jedes Gutachten ist oftmals, da es bezahlt ist, ein Gefälligkeitsgutachten«, zitiert angesichts dessen Christine Ostrowski den sächsischen Innenminister Klaus Hardrath. Die PDS-Bundestagsabgeordnete hat gemeinsam mit ihrem Dresdner Kollegen Ronald Weckesser den „Brüggen-Bericht“ analysiert. Ihr knappes Urteil: »Der taugt nur für den Papierkorb.« Mit dem Urteil zur Preisbindung machten sich die Experten in der Fachwelt lächerlich. Diese gelte nur für Wohnungen, die bereits zu DDR-Zeiten als solche genutzt wurden. Das treffe für die Räume im Gästehaus nicht zu. Vielmehr handle es sich um ein »beherbergungsähnliches Unterbringungsverhältnis«. Weil selbst Brüggen einräumte, dass Ingrid Biedenkopf im Haus herrsche wie der »Feldwebel der Kompanie«, spricht Weckesser von einer »Pension Haus Ingrid«. Er betrachtet den Brüggen-Bericht, der von »haarsträubenden Ungereimtheiten« strotze, als »Nebelbombe der Regierung«. Der SPD-Abgeordnete
Karl Nolle spricht sogar von »brutalstmöglicher Verarschung«.
(Hendrik Lasch)