Rundfunkinterview WDR 5, MORGEN ECHO, 07:25 Uhr, 16.05.2001
Vor Landtagssondersitzung: Wie lange kann sich Kurt Biedenkopf noch halten?
Interview mit Thomas Jurk , Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion in Sachsen
Moderator Wolfgang Zimmer:
Heute entscheidet also der Landtag auf Antrag der PDS über den möglichen Rücktritt von "König Kurt". Das waren Informationen von Uwe Klost. Reichen all die erhobenen Vorwürfe denn aus für einen Rücktritt?
Die Antwort kommt von Thomas Jurk. Er ist SPD-Fraktionsvorsitzender im Sächsischen Landtag.
Jurk:
Die SPD-Fraktion hat sich natürlich mit dieser Sache grundsätzlich befasst. Wir haben eine Reihe von parlamentarischen Anfragen gestellt und sind für uns zu dem Schluss gekommen, dass das geeignete Instrument ein Untersuchungsausschuss wäre. Wir sind nicht der Auffassung, dass man quasi mit einer Sitzung, mit der Sondersitzung, die die PDS beantragt hat, all dies auf einmal klären kann. Das wird in der Natur begründet einfach auch nicht während dieser Sitzung stattfinden können. Zudem gibt ja die PDS eine Sondersitzung ab, die sich auf einen Antrag beruft, der ein destruktives Misstrauensvotum darstellt, das heißt: Die ganze Geschichte ist eine politische Willensbildung und bleibt an und für sich folgenlos, weil auch in der sächsischen Verfassung wie in Gesamtdeutschland ja vorgesehen ist, dass ein Machtwechsel an der Spitze eines Landes nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu erlangen wäre.
Moderator:
aus diesem destruktiven könnte ja ein konstruktives werden. Sprich: Wenn der Landtag sich heute mehrheitlich gegen Biedenkopf entscheidet, dann könnten daraus ja die nächsten Schlüsse gezogen werden.
Jurk:
Also, ich denke, dies wird nicht so eintreffen, weil die CDU-Fraktion bereits im Vorfeld zu erkennen gegeben hat, dass sie diesem Antrag der PDS nicht zustimmen wird. Und die CDU hat ja eine komfortable Mehrheit im Sächsischen Landtag - selbst wenn da einige Abgeordnete sich nicht trauen würden, an der Abstimmung teilzunehmen, ist nicht damit zu rechnen, dass dieser Rücktrittsantrag durchkommt.
Moderator:
Aber was die Fraktionsspitze sagt, ist das eine. Was die Fraktionsmitglieder möglicherweise in einer geheimen Abstimmung tun, ist das andere. Er hat ja nicht nur Freunde in der Partei in Sachsen.
Jurk:
Ja, das Problem ist nur, dass nach Geschäftsordnung natürlich bei einem solchen Antrag keine geheime Abstimmung stattfinden kann. Es kann nur maximal eine namentliche Abstimmung vonstatten gehen, und auch das - denke ich mal - wird dazu führen, dass natürlich in aller Offenheit auch die Leute in der CDU, die schon längst nicht mehr Anhänger von Kurt Biedenkopf sind, natürlich dem Antrag nicht zustimmen werden.
Moderator:
Warum hat die Opposition sich nicht für ein konstruktives Misstrauensvotum eingesetzt?
Jurk:
Die Frage ist ja: Was wollen Sie damit erreichen? Die PDS hätte theoretisch zum Beispiel ihren Fraktions- und Landesvorsitzenden Porsch nominieren können als künftigen Ministerpräsidenten, sie hätte dann vielleicht die Stimmen der PDS-Fraktion eingesammelt aber auf keinen Fall die Stimmen der CDU oder der SPD. Ich denke, die CDU ist an dieser Stelle gefordert, denn sie sieht natürlich auch den Machtverfall, den Machtverlust. Und es hat sich ja gezeigt, dass gerade auch viele Hinweise auf diese Affäre Kurt Biedenkopf aus der CDU selbst gekommen sind. Man hat also Abgeordnete der Opposition ganz zielgerichtet informiert, damit entsprechende Dinge überhaupt an die Öffentlichkeit gekommen sind. Und ich denke: Die CDU ist selbst gefragt und gefordert, jetzt eine Klärung herbeizuführen. Sie hat eine absolute Mehrheit in Sachsen, sie kann diese Probleme eigenverantwortlich lösen, und ich glaube, sie muss sie zunächst einmal eigenverantwortlich lösen.
Moderator:
Biedenkopf bekommt ja Rückendeckung aus der Berliner Parteispitze. Und wenn Dinge an die Öffentlichkeit kommen, heißt das ja noch nicht, dass Dinge auch bewiesen sind. Kann man denn einem Politiker vorhalten, Urlaub auf dem Boot eines Bekannten, eines Freundes zu machen? Man hat ja auch ein Privatleben.
Jurk:
Also, ich denke schon, dass gerade diese Frage des Urlaubs bei seinem Freund eine Randglosse ist. Viel interessanter ist die Frage, ob Kurt Biedenkopf gewusst hat, zu welchen Konditionen er im Gästehaus logiert. Vor allen Dingen hat es ja doch für erhebliche Erregung gesorgt, dass er quasi eine Kaltmiete von 8,15 DM bezahlt bei Nebenkosten von 3,80 DM und dass dann in diesem Preis allerdings alle Service-Leistungen durch Personal, sprich: Putzfrau, Koch, Gärtner, alle einberechnet
gewesen sein sollen. Und da gibt es hier einen heftigen Streit zwischen der Staatskanzlei und dem Finanzministerium. Und man muss ja wissen: Der ehemalige Finanzminister Georg Milbradt wurde von Kurt Biedenkopf jetzt quasi als einer der Drahtzieher ermittelt. Und Kurt Biedenkopf hat gestern auch in einer Fernsehsendung noch einmal eindeutig klargestellt, dass dort Schlampereien sind, wofür er das Finanzministerium verantwortlich macht.
Moderator:
Wir hatten einen ähnlichen Fall hier in Köln mit dem Regierungspräsidenten. Reicht denn so was für ein politisches Ende?
Jurk:
Es ist die Frage der Verquickung von Amt und Privatem. Das ist eine ganz spannende Frage, die sich hier stellt, weil darüber hinausgehend natürlich auch andere Vorwürfe jetzt laut werden. Es ist ja nicht bloß so, dass die Geschichte mit dem dann doch verhinderten Segeltörn eine Rolle gespielt hat. Wenn ich daran denke, dass es ja bereits seit einem Jahr einen Untersuchungsausschuss zu einem Behördenzentrum in Leipzig gibt, wo Kurt Biedenkopf vorgeworfen wird, dass er einem guten Freund dort zu günstigen Konditionen zum Bauen verholfen hat und dann auch dafür gesorgt hat, dass die Miete so auskömmlich ist, dass der gute Freund also auf lange Sicht dort auch Gewinne erzielen kann, so sind das Informationen, die bisher in der Öffentlichkeit schon bekannt sind, das heißt: es kapriziert sich jetzt nicht alles auf seine Dienstwohnung.
Moderator:
Dann noch mal die Frage: Warum nicht ein konstruktives Misstrauensvotum? Denn all das, was Sie gerade vorgehalten haben, müsste doch eigentlich auch den Parteifreunden von Kurt Biedenkopf zu denken geben.
Jurk:
Also, die spannende Frage ist ja auch: Wen schlägt die CDU in diesem Moment vor? Die CDU wird im September ja erst ihren Landesparteitag machen. Man hat sich ja nach quälenden Diskussionen verständigt, den Landesparteitag von November auf September vorzuziehen, um dort einen neuen Landesvorsitzenden zu wählen. Und es ist ja völlig klar, dass der neue Landesvorsitzende eigentlich prädestiniert wäre, die Nachfolge von Kurt Biedenkopf anzutreten. Die CDU will natürlich gerne bis zu diesem Zeitpunkt durchhalten. Alles andere würde meiner Ansicht nach dem tiefen Spalt, den es bereits jetzt in der CDU-Fraktion gibt, noch mehr verstärken. Die CDU hätte sicherlich die Möglichkeit, einen eigenen Kandidaten aufzustellen, müsste allerdings davon ausgehen, dass der von der Opposition mitgetragen wird. Und ich meine: Wir haben hier seit elf Jahren eine absolute Mehrheit; so fest sind die Bande zum Beispiel auch zwischen CDU und SPD nicht, dass wir jetzt sagen würden als 10,7-Prozent-Partei in Sachsen: Wir tragen jetzt zum Beispiel einen Georg Milbradt mit. Das wird nicht passieren.
Moderator:
Wenn es nach den Sozialdemokraten geht, soll ein Untersuchungsausschuss in Sachen Kurt Biedenkopf tätig werden. Das war Thomas Jurk, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag.