Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 02.06.2001

Mehr Eigentor als kluger Schachzug

Mietforderung führt zur Frage, warum Biedenkopfs Haus am Chiemsee rund um die Uhr bewacht wird
 
Wochenlang ist in Dresden um die Höhe der Nachzahlungen gerungen worden, die Ministerpräsident Kurt Biedenkopf für die private Nutzung staatlicher Serviceleistungen entrichten soll. Als sein Finanzminister Thomas de Maizière am vergangenen Mittwoch konkrete Zahlen präsentierte, überraschte eine Forderung des Regierungschefs selbst die eigene Partei. Biedenkopf wollte zwar maximal 120000 Mark nachzahlen, verlangte aber, dass auch eine Gegenrechnung aufgemacht wird. Rund 110000 Mark wollte er seinerseits vom Land haben. Schließlich lasse er seit dem 1. Januar 1991 in einer Einliegerwohnung in seinem Haus Westerbuchberg in Übersee am Chiemsee den „Personenschutz“ wohnen, der dort eine „hoheitliche Aufgabe“ erfülle. So lautete die Erklärung des Finanzministeriums.

„Das Ding geht nach hinten los“

Die Regierung hatte die Forderung kaum bekannt gemacht, da regte sich heftiger Unmut im eigenen Lager. So warnte der frühere Innenminister und heutige stellvertretende Parteivorsitzende der CDU Sachsens, Heinz Eggert, bei der Vorstellung der Biedenkopf-Wünsche im CDU-Arbeitskreis Finanzen: „Das Ding geht nach hinten los!“ Nicht nur Eggert spürte, dass Biedenkopf – wie schon mehrfach zuvor in dieser Affäre – durch einen vermeintlich klugen Schachzug selbst neue Zweifel auslöste. Denn nun richtet sich das Interesse einer kritisch gewordenen Öffentlichkeit auf das Wachpersonal am Chiemsee – und auf die Frage nach dessen wirklichen Aufgaben.

Es handelt sich dabei tatsächlich nicht, wie es in der Erklärung des Finanzministeriums hieß, um Personenschutz. Vielmehr bewacht der Objektschutz der sächsischen Polizei das ganze Jahr über, rund um die Uhr, das Anwesen der Biedenkopfs – auch wenn der Regent und seine Frau Ingrid in Dresden weilen. In der sächsischen CDU sprechen manche spottend von den „Hausmeistern am Chiemsee“.

Auf die Frage, worauf dort denn aufgepasst werde, antwortet Thomas Uslaub, Sprecher des Innenministeriums: „Auf das Haus, also auf das Anwesen.“ Über Kosten und die Zahl der eingesetzten Beamten dürfe er keine Angaben machen. Es gebe aber eine entsprechende Gefährdungsanalyse. Ein Gutachten, das diese Gefährdungsanalyse begründete, kam allerdings nach Auskunft des seinerzeitigen Innenministers Heinz Eggert erst auf Initiative von Biedenkopf selbst zustande. Der sei an der Bewachung seines Anwesens interessiert gewesen. Womit die Gefahr für das Haus begründet sein soll, ist „aus Sicherheitsgründen“ nicht zu erfahren. Eggert ließ jetzt aber keinen Zweifel daran, dass ihm selbst diese Bewachung des Sommersitzes des Regierungschefs außergewöhnlich erscheint. Seinerzeit habe Biedenkopf sich zudem „dazu verpflichtet, unentgeltlich Wohnraum zur Verfügung zu stellen, wenn die Polizei im Gegenzug 365 Tage im Jahr das Haus bewacht“, erklärt Eggert. Von einer Miete für die Einliegerwohnung sei nie die Rede gewesen.

Biedenkopf will nach den Protesten nun darauf verzichten, die Forderungen geltend zu machen. Aber seine Staatskanzlei hat in seinem Auftrag bereits einen vereidigten Sachverständigen mit der Ermittlung des Mietwertes der Einliegerwohnung beauftragt.

Die Affäre um Biedenkopfs Sonderstatus findet nicht nur wegen neuer Fragen nach der Notwendigkeit des Wachpersonals kein Ende. Die Opposition und auch der unabhängige sächsische Rechnungshof (siehe Interview) halten die vom Finanzminister empfohlenen Regelungen nicht für akzeptabel. Die Opposition wittert neue Tricks. So wurde der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass sich Biedenkopfs Kaltmiete für seine Wohnung im Gästehaus der Landesregierung von bisher 8,15 Mark pro Quadratmeter auf künftig 12,23 Mark erhöhe. Dieser Betrag liegt knapp unter dem für die Villenlage angemessenen Quadratmeterpreis von 13 Mark – einem Preis, den Gutachter im Auftrag der Staatskanzlei empfohlen hatten. Tatsächlich wurde Biedenkopfs Grundmiete von 8, 15 Mark aber gar nicht erhöht. Der Anstieg der Gesamtmiete kommt vielmehr vor allem dadurch zustande, dass den Biedenkopfs anders als bisher auch die Nutzung der Gemeinschaftseinrichtungen berechnet wird. Dies hatte der Landesrechnungshof zusätzlich gefordert.

Unwirtschaftliches Gästehaus

Zur Wirtschaftlichkeit des ganzen Gästehauses in der Schevenstraße liegt mittlerweile ein Gutachten vor. In dem Komplex übernachten in Apartments derzeit auch ein Minister und ein Staatssekretär. Auch das „Büro Ingrid Biedenkopf“, das mit Hilfe von staatlich bezahlten Kräften Briefe an die Frau des Ministerpräsidenten beantwortet, ist auf dem Gelände untergebracht. Dem Gutachten zufolge bestehen offenbar Zweifel, ob es überhaupt wirtschaftlich ist, das Gästehaus auch nur für jene zwei bis drei Jahre weiter zu betreiben, die Biedenkopf noch in Sachsen bleiben will. Ein neuer Ministerpräsident werde kaum in die Schevenstraße einziehen, hat Regierungssprecher Michael Sagurna bereits erklärt.

Biedenkopf selbst hat bereits erwogen, die Schevenstraße schon jetzt aufzugeben. Diese Überlegung habe man aber fallen lassen, erklärte er Mitte Mai – mit Blick auf neue Kosten für die Sicherheit und die Einrichtung, die bei einem Umzug anfallen würden.
(Von Jens Schneider)

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