Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 13.06.2001

"Alles so lassen wie es ist"

Die Justiz stoppte 1998 Ermittlungen zum Behördenzentrum Paunsdorf
 
SACHSEN. Im Oktober 1998 machten ranghohe Beamte im sächsischen Landeskriminalamt ihrem Unmut Luft. Sie hatten jene Verfügung gelesen, mit der die Leipziger Staatsanwaltschaft am 5. Juni 1998 Vorermittlungen zum Behördenzentrum (BHZ) Paunsdorf wegen des Verdachts der Untreue gegen Landesbedienstete beendet hatte. Nach der Lektüre der 19-seitigen staatsanwaltschaftlichen Verfügung monierten die LKA-Beamten in einem internen Führungsvermerk an das Innenministerium die „nicht vollständig nachvollziehbare Verfahrensleitung der Staatsanwaltschaft". Mit dem Abbruch der Vorermittlungen weiche sie „von ihrer bis dahin vertretenen Auffassung ab", schrieben sie in ihrem Bericht, der das LKA offiziell nie verlassen hat. Was war passiert?

Seit Anfang 1997 gingen LKA-Spezialisten für Wirtschaftskriminalität, zeitweise sogar in einer Art Sonderkommission, der Frage nach, ob bei der Anmietung des BHZ Paunsdorf durch den Freistaat Steuergelder in Millionenhöhe veruntreut wurden. Der sächsische Rechnungshof hatte dafür 1996 Hinweise gegeben. Die vom ihm gerügten Rechtsverstöße schienen offensichtlich, und die Suche in den Akten nach den Verantwortlichen führte schon zeitig bis ins Zentrum der Macht in Dresden - zu Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Dessen enger Freund Heinz Barth ist der Investor in Paunsdorf. Schon im Herbst 1997 bestand zwischen Leipziger Staatsanwälten und den LKA-Ermittlern offenbar Einigkeit darüber, dass die Voruntersuchung in einem ordentlichen Ermittlungsverfahren münden müsste und eine Durchsuchung durchzuführen sei. Es drohte Ungemach, wie kaum zuvor in Sachsen: Schon 1997 - die Welt am Dresdner Elbufer war noch in Ordnung - hatten Ermittler offenbar König Kurt im Visier.

Finanzministerium verweigerte die Akten

Als deutlich wurde, wohin die Er-mittlungen führen könnten, nahm der Fall einen anderen Verlauf. An-fang Dezember 1997 erfuhren die LKA-Beamten von der Staatsan-waltschaft, dass weitere Paunsdorf--Akten aus dem Finanzministerium, auf die man seit Wochen wartete, nicht mehr kommen würden. Der damalige Finanzstaatssekretär Karl-Heinz Carl verweigerte die Herausgabe und wollte wissen, wie weit die Reihe der Beschuldigten reichte. Rückendeckung erhielt der Staatssekretär von Generalstaats-anwalt Jörg Schwalm. Der teilte dem Justizministerium mit, die Leipziger Staatsanwaltschaft prüfe die Einleitung eines Ermittlungs-verfahrens, „insbesondere wegen Untreue zum Nachteil des Staats-haushaltes". Er, Schwalm, habe die Leipziger jedoch „nochmals ein-dringlich gebeten, zu prüfen, ob der Vorgang abgeschlossen" werden könne.

Im Juni 1998 geschah das in merkwürdiger Weise. Als sollten die Ermittlungsergebnisse der Nachwelt erhalten bleiben, hielt die zuständige Staatsanwältin minutiös die polizeilichen Erkenntnisse fest. Sie nannte die begangenen Rechtsverstoße, bestätigte Schäden zum Nachteil des Freistaates, verneinte aber schließlich mit den seltsamsten Argumenten einen Anfangsverdacht der Untreue. Beispiel: Ein Vergleich des Mietzinses für die Einquartierung der Behörden war angeblich nicht machbar, weil „innerhalb des Stadtteiles Paunsdorf ein solcher Vergleich mangels anderer Bauprojekte unmöglich" gewesen sei.

Die Ermittler kannten schon damals Kurt Biedenkopfs Vermerk vom 1. Juli 1993 mit den umstrittenen Klauseln für die Mietverträge, der den Ministerpräsidenten jetzt vor dem Paunsdorf-Untersuchungsausschuss in die Klemme brachte. Er enthielt unter anderem Laufzeiten und Quadratmeterpreise, für die das Finanzministerium später bei Heinz Barth mietete und dafür vom sächsischen Rechnungshof kritisiert wurde.

Zum Ministerpräsidenten „einbestellt"

In der Voruntersuchung blieben zahlreiche Fragen offen. So teilte das zuständige Liegenschaftsamt Leipzig der Oberfinanzdirektion (OFD) am 25. August 1993 mit, dass für den 2. Abschnitt des BHZ Paunsdorf (rund 20 000 Quadratmeter Nutzfläche) kein Bedarf bestehe. Wenig später, am 10. September, tat der damals oberste Landesvermögensverwalter, Michael Muster, der OFD aber kund, er habe dem Investor und Biedenkopf-Freund Barth die Anmietung weiterer 18 000 Quadratmeter zugesagt. Ein Widerspruch, der nicht zu klären war, denn eine Befragung des Zeugen Muster war in der Voruntersuchung nicht möglich.

Was den Ermittlern versagt blieb - Musters Verneh-mung-, holte nun der Paunsdorf-Untersuchungsausschuss nach. Die Aussage des Ministerialbeamten lie-ferte unlängst neue Anhaltspunkte dafür, dass die Vorermittlungen nicht hätten abgebrochen werden dürfen.

Denn Michael Muster hatte den Fall Paunsdorf vor Jahren nicht selbst auf seinen Tisch gezogen. Er sei ihm 1993 vielmehr durch Anrufe aus der Staatskanzlei auf den Tisch „geschoben" worden, erklärte er als Zeuge vor dem Ausschuss. Als die zuständigen Behörden keinen weiteren Unterbringungsbedarf sahen, habe Ministerpräsident Biedenkopf persönlich gefragt, „warum seit Mitte Juli 1993 keine weiteren Mietverträge abgeschlossen worden sind". Michael Muster wurde zum Ministerpräsidenten „einbestellt". Dieser habe „deutlich" gemacht, dass er einen „schnellen Abschluss des Mietvertrages" für die Polizeibehörden wünsche. Die administrativen Wege sollten „beschleunigt durchlaufen werden", so Muster vor dem Ausschuss. Staatsanwälte hätten mit dem Wissen schon vor drei Jahren kaum umhin gekonnt, zu prüfen, ob der Ministerpräsident seinem befreundeten Investor Vorteile verschafft hatte - zum Nachteil Sachsens. Das wurde den Leipziger Ermittlern schnell klar, als Anfang März 2000 die PDS ankündigte, das „System Biedenkopf" am Beispiel des BHZ Paunsdorf von einem Untersuchungsausschuss durchleuchten zu lassen. Allein die Ankündigung löste die Alarmglocke aus. Die Leipziger Staatsanwaltschaft wollte nun die Voruntersuchung wieder aufnehmen. Sie fürchtete offenbar, der Untersuchungsausschuss könnte entdecken, dass der Fall zu früh zu den Akten gelegt worden war. Außerdem drohte die Verjährung möglicher Straftaten. Doch von der Generalstaatsanwaltschaft aus Dresden kam der Hinweis: „Alles so lassen wie es ist!" Und so geschah es, obwohl die LKA-Spezialisten für Wirtschaftskriminalität das Ende der Voruntersuchung „in ihrer Gesamtheit" inhaltlich und rechtlich „nicht nachvollziehen" konnten.

Was 1993 bei der Anmietung des BHZ Paunsdorf an Strafbarem geschehen sein könnte, ist mittlerweile verjährt. Was aber 1998 und im Jahr 2000 möglicherweise mit der staatsanwaltschaftlichen Voruntersuchung passiert ist, würde so schnell nicht verjähren. Das Strafgesetz hat dafür einen Paragrafen, der den Paunsdorf-Untersuchungsausschuss bisher kaum interessierte: Strafvereitelung im Amt, § 258. Verdächtig macht sich danach, „wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft... wird".

Generalstaatsanwalt Schwalm, wegen des abgebrochenen Paunsdorf-Verfahrens schon im Frühjahr unter Druck gekommen, sieht indes kein Versäumnis. Seine Dienststelle habe nur „gebilligt", dass die Leipziger Ermittler ihre Voruntersuchung einstellen wollten.
(Thomas Schade)

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