Karl Nolle, MdL

MDR online INTERVIEW, 19.08.2001

Ex-Minister Milbradt fordert faire Chance bei CDU-Wahlen

Georg Milbradt hält es für einen Vorteil, wenn die Regierungsarbeit und die Tätigkeit des Landesvorsitzenden getrennt werden.
 
"Wenn schon ein Regierungsmitglied Parteivorsitzender sein soll, dann der Ministerpräsident selbst, sonst besteht die Gefahr einer Statthalterlösung", meint Milbradt im Sommerinterview von MDR ONLINE. Dass es auch Stimmen gegen seine Kandidatur auf dem Glauchauer Parteitag der Sachsen-CDU Mitte September gibt, muss nach Milbradts Überzeugung noch keine Grabenbildung bedeuten. Er fordert aber die Einhaltung demokratischer Spielregeln ein. Die Willensbildung müsse von unten nach oben gehen. "Der Ministerpräsident hat aus gutem Grund bei uns nach der Verfassung das Recht, das Kabinett nach seinen Vorstellungen zusammenzusetzen. [...] Für Wahlen innerhalb der Partei gilt das nicht.

Nach Milbradts Überzeugung muss die CDU bei den nächsten Landtagswahlen im Jahre 2004 erneut um die absolute Mehrheit kämpfen, da es an einem Koalitionspartner mangele. Die Grundzüge der bisherigen Landespolitik seien richtig. Man müsse aber zur Kenntnis nehmen, dass die erste Phase des Wiederaufbaus zu Ende gehen. Die Herausforderungen der Zukunft hätten immer weniger mit der Wiedervereinigung zu tun.


Lesen Sie nachfolgend den Wortlaut des Interviews:

# Sie haben dem sächsischen Kabinett über mehr als zehn Jahre angehört. Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer persönlichen Arbeit gewesen?

Wir haben durch unser politisches Handeln künftigen Generationen eigene Gestaltungsspielräume gesichert. Dazu gehört unter anderem, auch eine solide Finanzpolitik betrieben zu haben, die uns bundesweite Anerkennung gesichert hat. Wir haben den höchsten Anteil von Investitionen am Gesamthaushalt. Wir müssen nicht noch weitere anderthalb Milliarden Mark wie andere neue Bundesländer als Zinsen an die Banken zahlen, sondern können sie für die Gestaltung unserer Politik einsetzen, z. B für Schulsanierungen, Hochschulen, Straßenbau und soziale Aufgaben.

# Aus dem sächsischen Kabinett ist jetzt zu hören, Ihr Ausscheiden sei damals bedauert worden. Haben Sie das auch so wahrgenommen?

Drei Kollegen haben mir das damals persönlich mitgeteilt.

# Wie kommentieren Sie selber heute die Entscheidung des Ministerpräsidenten, Sie zu entlassen? Gab es dafür ausreichende Gründe? Hat die sächsische Union dadurch Schaden genommen?

Der Ministerpräsident hat aus gutem Grund bei uns nach der Verfassung das Recht, das Kabinett nach seinen Vorstellungen zusammenzusetzen. Deshalb ist diese Entscheidung zu respektieren. Für Wahlen innerhalb der Partei gilt das nicht.

# War die Bemerkung vom "miserablen Politiker" eine unüberlegte Äußerung, die ein anderer Ministerpräsident vielleicht sofort zurückgenommen hätte?

Die Sache ist für mich erledigt. Der Ministerpräsident braucht sich bei mir nicht zu entschuldigen.

# Was sagen Sie zur Kritik von Wissenschaftsminister Meyer, Sie hätten immer den Standpunkt vertreten, Sachsen müsse sich bei Wissenschaft und Kultur am Aufwand ärmerer Länder orientieren?

Sachsen hat als finanzschwaches Land immer höhere Ausgaben für Wissenschaft und Kultur getätigt als der Durchschnitt der anderen Bundesländer, selbst als einige der reichen Länder. Das war immer unstrittig.

# Weshalb rechnen Sie sich auf dem Landesparteitag in Glauchau eine Chance aus? Auf wessen Unterstützung zählen Sie bei den Wahlen zum Landesvorsitz? Zumindest aus Dresden und Leipzig gibt es doch wohl eine eindeutige Aussage zu Ihren Gunsten?

Ich rechne auf diejenigen Mitglieder in der Partei, die wie ich neuen Schwung wollen und die Partei auf die Zukunft ausrichten wollen. Dankbarkeit ist keine politische Kategorie, sagt zu Recht unser Ministerpräsident. Allein mit dem Hinweis auf unsere großen Erfolge in der Vergangenheit, mit "weiter so wie bisher" werden wir keine absoluten Mehrheiten mehr erreichen können.

# Die Freie Presse informierte über eine Beschwerde der Frauenministerin Weber, weil Staatskanzleichef Brüggen sie bedrängt hätte, sich mit Äußerungen gegen Herrn Flath zurückzuhalten. In einem Interview im gleichen Blatt tritt der Landesvorsitzende Hähle deutlich gegen Sie auf. Müssen Sie bis zu den Vorstandswahlen mit weiterem Gegenwind aus dem Parteiapparat und der Landesregierung rechnen?

In einer Demokratie kann jeder seine Meinung frei äußern. Fairness, Wahrheitsliebe und gegenseitiger Respekt sollten stets die Leitlinien sein. Und man sollte Funktionen in der Regierung und Parteiangelegenheiten sauber auseinander halten. Für einen Kandidaten kann manchmal Gegenwind aus bestimmter Richtung auch ganz nützlich sein.

# Aber fördert solcher Druck nicht auch eine Grabenbildung in der CDU?

Meinungen oder Sympathien zu Personen und deren politische Aussagen zu haben, ist noch keine Grabenbildung. Wir müssen nur darauf achten, dass wir den innerparteilichen Wettstreit so führen, dass nach der Entscheidung des Parteitages wieder alle miteinander arbeiten können. Wir müssen die demokratischen Spielregeln beachten, das heißt: Die Willensbildung geht von unten nach oben.

# Aus bisherigen Äußerungen von Herrn Flath ist zu entnehmen, dass zumindest er sich auch um ein faires Klima bemüht?

Wir haben miteinander verabredet, dass wir auch durch unser Auftreten der Partei ein Vorbild sein wollen.

# Fritz Hähle hat in dem erwähnten Interview gesagt: "Die Partei muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein, wie sie mit einem Ministerpräsidenten umgeht, wenn sie einen Vorsitzenden wählt, der von ihm ein halbes Jahr zuvor als Minister entlassen worden ist." Diese Bemerkung richtet sich eindeutig gegen Ihre Kandidatur. Würden Sie Ihre Wahl zum Landesvorsitzenden denn tatsächlich als eine Art Majestätsbeleidigung ansehen?

Nein, die Funktionen des Ministerpräsidenten und des Parteivorsitzenden sind völlig verschieden. Im Falle meiner Wahl werde ich mich daher nicht in die Regierungsarbeit und die Kabinettsbesetzung einmischen. Ich unterstütze mit voller Kraft die Politik der Staatsregierung. Allerdings muss unsere Partei ein eigenes Profil entwickeln und Themen besetzen, da Kurt Biedenkopf sich nicht mehr zur Wahl stellen wird. Auf den zukünftigen Parteivorsitzenden wartet also in der Partei Arbeit genug.

# Heinz Eggert hat in einem Interview mit der "Sächsischen Zeitung" gefordert, der neue Vorsitzende dürfe nicht ein Minister sein, da er dann im Kabinett dem Ministerpräsidenten untersteht. Sehen Sie das auch so?

Diese Position hat der Ministerpräsident ursprünglich auch vertreten. Sie ist in der Mitschrift der Fraktionssitzung vom 24. Januar dieses Jahres nachzulesen. Als sich abzeichnete, dass ein Mitglied des jetzigen Kabinetts kandidieren wollte, hat er seine Meinung geändert. Es hat Vorteile, wenn man die Regierungsarbeit und die Tätigkeit als Landesvorsitzender trennt. Wenn schon ein Regierungsmitglied Parteivorsitzender sein soll, dann der Ministerpräsident selbst, sonst besteht die Gefahr einer Statthalterlösung.

# Aus welchen sachlichen Gründen muss sich nach Ihrer Überzeugung die CDU Sachsen für einen Landesvorsitzenden Milbradt entscheiden?

Wir haben bei den Kommunalwahlen gesehen, dass sich die Wählerschaft und die Stimmung ändern. Wir müssen damit rechnen, dass wir bei den Landtagswahlen im Jahre 2004 mit dem Motto der Gegenseite "Vierzehn Jahre CDU-Regierung sind genug" konfrontiert werden. Deshalb ist es wichtig, dass die CDU den notwendigen personellen Wechsel so vollzieht, dass die Bevölkerung für die dann vor uns liegenden Jahre weiter der Sächsischen Union das Vertrauen schenkt. Die Grundlagen dafür müssen wir jetzt legen.

# Ein Landesvorsitzender Milbradt würde sich bestimmt auch um die Nachfolge des Ministerpräsidenten bemühen?

Wir haben im Landesvorstand der Partei die Spielregeln festgelegt, sie müssen noch vom Parteitag bestätigt werden. Danach spricht das erste Wort der Ministerpräsident. Er entscheidet, ob und wann er innerhalb der Wahlperiode zurücktritt. Das zweite Wort spricht die Partei, die einen Vorschlag für den neuen Ministerpräsidenten unterbreitet. Nach meiner Vorstellung sollte diese Willensbildung auf breiter Basis vollzogen werden. Ich denke an Ähnliches wie die bevorstehenden Regionalkonferenzen. Das dritte und entscheidende Wort spricht dann die Fraktion, die den Vorgeschlagenen im Landtag mit der nötigen Stimmenmehrheit durchbringen muss.

# Aber Interesse hätten Sie schon?

Darüber sollte man sich erst äußern, wenn die Diskussion um die Nachfolge offiziell eröffnet ist.

# Muss ein Fachpolitiker aber auch einen guten Ministerpräsidenten abgeben? Sind Sie als Fachmann für Finanzen nicht eher ein geborener Widerpart für die anderen Minister, weniger aber jener, der die Ministerien zusammenführt?

Das Gegenteil ist der Fall. Ein Finanzminister muss einen Vorschlag für den Haushaltsplan machen, der vom Kabinett gebilligt wird. Er muss also die Minister zusammenführen und Kompromisse aushandeln, sonst bekommt er keine Mehrheit. Der Finanzminister ist wie der Ministerpräsident Generalist, muss das Ganze sehen und nicht nur einzelne Forderungen der Ministerien. Dafür braucht er einen guten Überblick über alle wesentlichen Politikbereiche, die er bei seinem Vorschlag gegeneinander abwägen muss. Er ist Interessenwahrer der steuerzahlenden Bürger, die er nicht zu hoch belasten und deren Steuern er nicht vergeuden darf. Er ist zugleich Anwalt der nächsten Generation, zu deren Lasten sich die heutige Generation nicht übermäßig verschulden darf.

# Befürchten Sie, dass ein neuer Vorsitzender - egal wer es ist Ð zunächst einmal mit einer nennenswerten Gegnerschaft in der eigenen Partei rechnen muss?

Das hängt zunächst davon ab, wie der innerparteiliche Wettstreit um den Vorsitz geführt wird. Das ist aber auch abhängig vom Verhalten des neuen Vorsitzenden nach der Wahl. Ich habe nicht die Absicht, Gräben auszuheben. Ich möchte auch nicht andere herausdrängen. Ganz im Gegenteil: Ich habe schon jetzt meinen Konkurrenten Steffen Flath gebeten, im Falle meiner Wahl als Stellvertreter zur Verfügung zu stehen und mit mir zusammenzuarbeiten.

# Würden Sie, wenn Sie unterliegen, als Stellvertreter von Steffen Flath kandidieren?

Ich kenne ein solches Gegenangebot nicht.

# Kommen wir zur gegenwärtigen Landespolitik. Alle Ministerien sollen jetzt mit deutlich weniger Geld auskommen. Vor allem im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich hat es starke Proteste gegeben, weil es Befürchtungen gibt, dass viele Projekte nicht mehr zu finanzieren sind. Sie haben den heutigen Haushalt noch selber erarbeitet. Gab es keine andere Lösung?

Von deutlich weniger Geld kann nicht die Rede sein. Wir werden im Jahr 2001 mehr Geld ausgeben als im Vorjahr. Das gilt insbesondere auch für das Ressort Wissenschaft und Kunst. Es gibt allerdings eine Minderung der Steuereinnahmen in Höhe von 250 Millionen bei einem Gesamthaushalt von 31 Milliarden Mark also von weniger als einem Prozent der Gesamtausgaben. Bei einer vernünftigen Steuerung des Haushalts müsste es möglich sein, ohne größere Verwerfungen das Problem zu lösen.

# Die CDU regiert seit Jahren mit absoluter Mehrheit. Aber stellt die Fraktion für die eigene Regierung noch eine Herausforderung dar? Muss nicht häufig der Eindruck entstehen, dass der Fraktionsvorsitzende nur ein Mehrheitsbeschaffer für die Regierung ist?

Nein, den Eindruck habe ich nicht. Die Fraktion wird gerade in der kommenden Zeit an Bedeutung gewinnen. Auch schon, weil uns in absehbarer Zeit Kurt Biedenkopf nicht mehr zur Verfügung steht. Auch die Fraktion wird mehr auf eigenen Beinen stehen.

# Warum waren Sie Anfang des Jahres gegen eine Wiederwahl von Fraktionschef Hähle?

Ich habe keine öffentliche Kritik geäußert, aber fraktionsintern auf Pannen hingewiesen, etwa die gescheiterte Wahl von Frau Barbe oder Führungsprobleme.

# Ging es auch um die Außenwirkung des Fraktionsvorsitzenden?

Es ging um eine möglichst große Schlagkraft der Fraktion bis zum Ende der Wahlperiode.

# In der Gästehausaffäre haben Sie sich - anders als zum Beispiel Herr Eggert - mit Äußerungen zurückgehalten. Was waren Ihre Motive?

Ich beteilige mich nicht an solchen Diskussionen.

# Ist diese Affäre inzwischen ausgestanden?

Die ist erledigt.

Die sächsische CDU hat bei den Kommunalwahlen bis auf Zwickau alle Großstädte verloren. Was waren die Ursachen? Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie?

# Die Nachwendezeit ist zu Ende. Und allein mit dem Hinweis auf die großen Aufbauleistungen kann man die Wahlen nicht mehr gewinnen. Man muss sich nicht nur bei der Auswahl der Kandidaten, sondern auch bei der inhaltlichen Ausrichtung des Wahlkampfes darauf einstellen. Das bestätigen auch wissenschaftliche Wahlanalysen.

Ist vielleicht in der Kommunalpolitik nach einem Widerpart zur Landespolitik gesucht worden? Oder zielte die Wählerentscheidung auch auf die Landespolitik?

# Nein, es ging zunächst um die Kommunalpolitik. Aber für eine Landespartei ist es schon schmerzhaft, wenn bis auf Zwickau alle großen Städte verloren gehen. Und wir konnten Zwickau nur deshalb halten, weil die Gegenseite uneinig war. Es gibt auch Befürchtungen, dieser negative Trend könnte mit der Zeit auch auf kleinere Orte übergreifen.

Karl Nolle im Webseitentest
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