Sächsische Zeitung, 17.01.2002
Blick zurück im Zorn
Während Biedenkopf die Verletztheit eines alten Mannes zur Schau stellt, mimt Milbradt den nüchternen Vernunft-Politiker
DRESDEN. Angespannt wirkt er, als er gestern um 11.42 Uhr vor die Presse tritt. Mit hochrotem Kopf verliest Kurt Biedenkopf (CDU) eine dreiseitige Erklärung. Jedes Wort soll sitzen, jede Spitze treffen. Die letzte Schlacht hat begonnen, öffentlich und ohne Rücksicht auf Verluste.
Kurz zuvor hat er mit gleichen Worten der CDU-Fraktion mitgeteilt, zum 18. April zurückzutreten. Zehn guten Aufbaujahren mit drei überlegen gewonnenen Landtagswahlen folgten für Biedenkopf zwölf Monate voller Affären und Peinlichkeiten. Auch deshalb erschien dieser Schritt vielen CDU-Politikern in Dresden und Berlin überfällig.
Doch die Gründe für seine vorzeitige Amtsaufgabe sucht Biedenkopf nicht in eigenem Fehlverhalten. Die Verantwortung trage die CDU und vor allem ihr Vorsitzender Georg Milbradt: "Durch die Wahl des entlassenen Finanzministers zum neuen Parteivorsitzenden gab mir die Mehrheit der Parteitagsdelegierten im September 2001 zu verstehen, dass sie nicht bereit war, die Gründe für meine Personalentscheidung zu respektieren." Es lässt sich nur ahnen, wie tief Biedenkopfs Kränkung durch diesen - wie er sagt - in Deutschland "einmaligen Vorgang" ist. Denn das hatte es zuvor nicht gegeben, dass die Partei einfach demokratische Entscheidungen trifft, die er nicht billigt.
Die Gefühle siegen über politische Vernunft
Biedenkopf dankt der Fraktion und dem Fraktionsvorsitzenden, die immer loyal zu ihm gestanden hätten. Und er verweigert den Dank gleich im nächsten Absatz ausdrücklich der sächsischen CDU. Später wird er den Journalisten in die Blöcke diktieren, dass die "unverhältnismäßigen Feldzüge" gegen ihn auch aus den eigenen Reihen geschürt worden seien. Die Taktik ist klar: Einen Keil will er zwischen die Fraktion, die seinen Nachfolger wählen wird, und die Partei treiben.
Noch vor einer Woche keimte in der CDU die Hoffnung, die vom Parteivolk ersehnte Harmonie könne wieder entstehen. Da hatte Biedenkopf bei einer Pressekonferenz sein Ziel verkündet, bis zu seinem Rücktritt die Gräben in seiner Partei wieder zu schließen. Nach einem verfahrenen vergangenen Jahr hätte das neue ja auch so schön beginnen, die Partei sich wieder der politischen Sacharbeit zuwenden können. Doch irgendwann in der vergangenen Woche änderte Biedenkopf offenbar seine Taktik und ließ seine Gefühle über die politische Vernunft siegen.
Dies alles seien nüchterne Feststellungen, beteuert Biedenkopf zwar, sozusagen die Wahrheit. Doch so nüchtern die Sprache auch sein mag, so wenig er sich auf Nachfragen auch zu weiteren Angriffen gegen Milbradt hinreißen lässt, so sehr ist er offenkundig von einem unbändigen Vernichtungswillen gegen den einzigen im Augenblick in Frage kommenden Nachfolger getrieben. Jeder andere wäre Biedenkopf mittlerweile wohl recht. Ob Ost- oder Westdeutscher, Mann oder Frau, kompetent oder nicht, all dies ist ihm längst gleichgültig. Nur nicht Milbradt. "Es war der blanke Hass, der aus seinen Worten sprach", so ein Fraktionsmitglied.
Und immer wieder erinnern sich Parteifreunde an ein Bild, das Biedenkopf oft zitierte, als Ex-Kanzler Helmut Kohl sein einziges Ziel darin sah, seinen Nachfolger Wolfgang Schäuble zu Grunde zu richten: Aus Westfalen gäbe es tragische Geschichten. Da hätten angesehene Alt-Bauern lieber den ganzen Hof in Flammen aufgehen sehen, als für den Jungbauern Platz zu machen. Jetzt lässt es sich eins zu eins auf sächsische Verhältnisse anwenden.
Er habe in der "unseligen Periode" nach Milbradts Wahl gehofft, es werde sich ein harmonisches Verhältnis herstellen lassen, behauptet Biedenkopf. Doch der habe ihn am 13. Dezember - auf dem Höhepunkt der Ikea-Affäre - ultimativ zum Rücktritt aufgefordert. Damit sei das Vertrauen endgültig zerstört gewesen. Biedenkopf teilt damit seine Version eines vertraulichen Vier-Augen-Gesprächs mit. Und erteilt nebenbei eine Lehrstunde in Machtpolitik: "Es geht doch nicht derjenige in ein solches Gespräch, der selber auf den Posten will", belehrt er die Journalisten. Mit keinem Wort geht es an diesem denkwürdigen Mittwoch um politische Inhalte. Stattdessen bekommt die Öffentlichkeit ein Einblick in politische Ränkespiele und die Persönlichkeit eines Mannes mit all ihren Tiefen und Untiefen.
Wenig später folgt der Auftritt Milbradts. Der 56-Jährige ist angestrengt bemüht, nicht zurückzutreten und würdigt ausdrücklich und ausführlich die großen Verdienste Biedenkopfs. Mit dessen Rücktritt gehe eines der erfolgreichsten Kapitel der deutschen Wiedervereinigung zu Ende. Kurt Biedenkopf gebühre Dank für seine Leistung.
Doch in der Nachfolgefrage sei die Partei unabhängig. Sie müsse entscheiden, wie es weiter geht. Denn 2004 werde Biedenkopf nicht mehr helfen können. Bei dieser Entscheidung aber bestimmen Mehrheiten und die seien von allen Beteiligten zu respektieren. Er erhoffe sich eine ebenso faire Diskussion, wie Steffen Flath und er sie geführt hätten, als es um den Parteivorsitz ging, sagt Milbradt. Vor weiteren Bewerbern fürchte er sich nicht. "Konkurrenz belebt das Geschäft."
Seit einem Jahr bemüht er sich, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, er sei der Königsmörder. Jetzt hat Biedenkopf ihn als solchen bloßgestellt. Doch den Fehdehandschuh ergreift der unerwünschte Nachfolgekandidat nicht. Gelassen geht Milbradt auf die Vorwürfe Biedenkopfs überhaupt nicht ein. Wo jener die Verletztheit eines alten Mannes zur Schau stellt, mimt er den Vernunft-Politiker. "Ich habe im vergangenen Jahr kein böses Wort über den Ministerpräsident verloren und werde dies auch jetzt nicht tun." In Variationen wiederholt er diesen Satz - fünf Mal. Manch bittere Pille des Ministerpräsidenten habe er schlucken müssen. Doch er habe nie reagiert. Weder nach seinem Rausschmiss, noch nach dem jüngsten Versuch Biedenkopfs, ihn in die Paunsdorf-Affäre hineinzuziehen. "Das ist nicht der Stil, mit dem wir Probleme lösen", erklärt Milbradt. Ihm sei es immer um die Geschlossenheit der CDU gegangen. Dazu sei die enge Zusammenarbeit von Partei und Fraktion unerlässlich, sonst seien die Mehrheiten gefährdet und es gäbe eine Neuwahl-Situation.
Milbradt lässt sich nicht aufs Glatteis führen
Und dann muss er auch auf das Gespräch vom 13. Dezember eingehen, das Biedenkopf öffentlich machte. Wieder muss sich die versammelte Presse mit Details auseinander setzen, die eigentlich völlig uninteressant sind. Wer hat wen wann um das Gespräch gebeten? Warum hat keiner einen Dritten zu dem Gespräch gebeten? Was war der Inhalt? Und war es wirklich so entscheidend, wie Biedenkopf sagt? "Eigentlich sollte es möglich sein, solch diffizile Fragen untereinander zu erörtern, ohne danach zitiert zu werden - und dann auch noch falsch", sagt Milbradt. Aber es sei ja auch nicht das erste Mal gewesen, dass Biedenkopf die Vertraulichkeit nicht gewahrt habe. Er habe ihm in der schwierigen Situation die Lage dargestellt. Dies sei seine Pflicht als Parteivorsitzender, zumal der Unmut in der Partei wegen der Ikea-Affäre groß gewesen sei. Aber ich hätte jede Entscheidung Biedenkopfs akzeptiert.
Zu allen anderen Fragen nach neuen Kabinettsmitgliedern oder seinen Gefühlen Biedenkopf gegenüber schweigt Milbradt sich aus. "Sie werden mich auch diesmal nicht aufs Glatteis führen können."
(Christian Striefler)