Süddeutsche Zeitung, 17.01.2002
Ende mit Schrecken
Der sächsische Ministerpräsident stellt sich als Intrigen-Opfer dar
DRESDEN. Diesen Händedruck hätten die beiden Antipoden sich gern erspart. Als hätten sie sich nie wieder etwas zu sagen, reichen sich Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt am Mittwochmittag im Foyer des sächsischen Landtags zwar die Hand, blicken aber ernst, ja fast düster aneinander vorbei. Sie haben keine Worte mehr füreinander, und hätten dabei doch so viel auszuräumen. Aber zwischen den beiden einstigen Freunden ist jede Verbindung abgerissen. Der Händedruck dokumentiert das genauso, wie der Umstand, dass der scheidende sächsische Ministerpräsident seine Pressekonferenz zum Abschied aus dem Amt ohne seinen Parteichef Milbradt gehalten hat. Zufällig treffen sie sich im Landtagsfoyer. Denn Biedenkopf muss nach der Pressekonferenz noch immer Fernseh-Interviews geben. Milbradt kommt, um zu Biedenkopfs Erklärung Stellung zu nehmen.
Was der Ministerpräsident zum Abschied servierte, ist keine leichte Kost. Nachdem Biedenkopf seine Rücktrittserklärung verlesen hatte, herrschte nicht nur unter Journalisten Kopfschütteln. Auch Mitarbeiter der Landesregierung waren verstört. Das hätten sie nicht erwartet: In Biedenkopfs Erklärung spielen eigene Fehler nicht die geringste Rolle. Später sagt er auf Nachfrage, dass die jüngsten Affären nichts mit seinem Schritt zu tun hätten: „Die Entscheidung beruht nicht darauf“. Stattdessen gibt er die Schuld am vorzeitigen Abgang dem Parteivorsitzenden Milbradt. Ihm wirft er vor, parallel zur Opposition im Landtag seinen Rücktritt betrieben zu haben. Er will nicht verstehen, dass Milbradt und die Partei sich widersetzten, als er ihn vor gut einem Jahr als Finanzminister aus politischen Gründen entließ. Dass Milbradt später gar zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, irritierte ihn nicht minder. Als die Journalisten nach dem Ziel seiner Attacken auf Milbradt fragen, gibt Biedenkopf sich arglos. Er habe doch nur Tatbestände festgestellt. Seine Erklärung sei nur eine „Darstellung des Ablaufs“.
Der Parteivorsitzende verkneift sich in seiner Reaktion harte Konter und setzt wieder einmal auf Harmonie. Er spricht Biedenkopf seinen Dank für dessen Verdienste um das Land Sachsen aus und erklärt, dass er sich um das Amt des Ministerpräsidenten bewerben werde. Aber hat sein Vorgänger das nicht gerade unmöglich gemacht, indem er ihm den Makel des Königsmörders anhaftete? Auch auf diese Frage antwortet Milbradt ausweichend. Die Partei werde den Nachfolger wählen, niemand sonst. Nur einen Hinweis erlaubt er sich: Bei diesem Verfahren gebe es keine Sonderrechte.
Niemand vermag an diesem Tag einzuschätzen, ob Milbradt in der Fraktion – die ihn ja am 18. April wählen müsste – die erforderliche Mehrheit bekäme. Milbradt sagt, er könne sich nicht vorstellen, dass Fraktion und Partei in dieser Frage auseinander fallen. „Das wäre das Ende der CDU- Herrschaft in Sachsen.“ Das Dilemma seiner Gegner ist, dass es keinen klaren Gegenkandidaten zu Milbradt gibt, dem viele das Amt zutrauen. Biedenkopf hat dem Vernehmen nach einige Minister angesprochen, sich aber wohl mehrere Körbe geholt.
Als immerhin potenzielle Konkurrrenten zu Milbradt werden gelegentlich der sächsische Finanzminister Thomas de Maizière und auch der Minister für Bundesangelegenheiten, Stanislaw Tillich, genannt. Auch der Name der CDU- Bundesvorsitzenden Angela Merkel fiel am Mittwoch wieder. Die Idee, sie nach Sachsen zu holen, hat einen gewissen Charme, sagt Biedenkopf. In dieser Frage wird Milbradt sehr eindeutig. Er erklärt, dass Merkel selbst mehrfach deutlich gemacht habe, dass sie nicht nach Sachsen wolle. „Ihre Person immer wieder zu nennen, würde sie beschädigen“, sagt er. Sie habe jetzt in Berlin zu tun. „alles andere würde als Fahnenflucht empfunden.“
(Jens Schneider)